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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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beschloss, für den Sommer Sandalen mit einem kleinen Absatz zu kaufen.
    Vor dem nächsten Trip nach Golders Green ging sie zum Metzger und danach zu dem Gemüsehändler, bei dem sie, der überzogenen Preise wegen, für die Procters nur an den hohen Feiertagen einzukaufen pflegte. Unter den wachsamen Augen der Katze, die während des gesamten Kochvorgangs Begeisterung schnurrte und sich in graziöser Erwartungshaltung Fell und Barthaare leckte, bereitete Martha in einem hohen Topf, den sie von zu Hause mitgebracht hatte, genau den Eintopf zu, von dem in der schönen Stunde bei Lyon’s die Rede gewesen war. Samuel Bron-stein, geboren und aufgewachsen in Offenbach am Main, seit fast dreißig Jahren auf der britischen Insel lebend, doch dies mit einer Nase, die ihm nicht in die Emigration gefolgt war, konnte sein Glück nicht fassen. Das aus seinem Gedächtnis nie verbannte Lieblingsgericht trieb ihm schon die Tränen in die Augen, als Frau Martha noch am Küchentisch saß und Sellerie schälte. In seinem ersten Leben hatte immer am letzten Mittwoch im Monat Pichelsteiner Eintopf auf dem Herd gestanden - in dem orangefarbenen Suppentopf seiner Mutter -, und stets war Tante Amalie aus Neu-Isenburg zum Essen gekommen und hatte selbst gebackenen Streuselkuchen und drei Liter Apfelwein für den Abend mitgebracht. Und den Bembel ihres seligen Mannes, um ihn auszuschenken.
    »Mein Onkel war«, erzählte Samy, »nämlich ein Frankfurter, aber er soll besonders nett gewesen sein. In Offenbach waren wir ja immer ein bisschen heikel, wenn einer aus Frankfurt war. Massel hat er auch gehabt, der selige Onkel Siegfried. Er ist schon 1928 gestorben und konnte also noch an den Dank des Vaterlands glauben. Das hatte ihn mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Die Lebenden hat es ja später nicht vor dem KZ gerettet.«
    Mutter und Tante waren, wie er nach dem Krieg von einem Cousin zweiten Grades erfuhr, der das Lager überlebt hatte, schon sechs Wochen nach ihrer Deportation in Theresienstadt verhungert. Um den Gespenstern zu entrinnen, ehe sie ihm das Herz aus dem Körper rissen, stand Samy auf. Nicht nur seine Knochen schmerzten. Einen Moment musste er sich am Küchentisch festhalten. Da sah er, dass sich das Schnürbändel an seinem rechten Schuh gelöst hatte. Er hatte gerade der Köchin erzählen wollen, dass seine Mutter nie Schweinefleisch in das Pichelsteiner getan hatte, obgleich das seines Wissens im Rezept stand, doch seiner feuchten Augen wegen dauerte es unziemlich lange, bis er den Schuhsenkel wieder ordentlich zugebunden hatte. Die Zeit reichte nicht mehr aus, um die mütterlichen Kochgepflogenheiten zu erörtern, ehe Martha zu reden begann. Mit besorgter Stimme merkte sie an: »Ich hoffe, du wirst das Schweinefleisch nicht allzu sehr vermissen. Ich weiß, dass es eigentlich dazugehört, aber ich habe mein Lebtag kein Schwein auf den Tisch gebracht.« Gerührt nahm Samy ihr das kleine Küchenmesser aus der rechten und eine Möhre aus der Linken. Ohne dass sie es merkte, verschluckte er einen Seufzer.
    »Wenn ich jünger wäre und keine Angst vor meinem Sohn hätte, dem künftigen Herrn General, würde ich dir auf der Stelle einen Heiratsantrag machen«, sagte er. »Ich glaub, ich kann noch knien.«
    »Ich habe auch Angst vor meiner Familie. Das ist ein Altersleiden, Samy. Es kommt eines Tages über Nacht und trifft jeden von uns. Die ganze Sache ist so wie Masern bei Kindern.« »So wie Masern bei Kindern«, wiederholte er. »Was hilft denn gegen Masern?«
    »Die Zeit.«
    Auch in diesem Fall rechtfertigte die Zeit ihren Ruf. Innerhalb der nächsten beiden Wochen, die für beide Beteiligten schneller vergingen als in der Vergangenheit eine einzige, vollzogen sich einige - sehr auffällige - Veränderungen. Der Kühlschrank im Hause Bronstein wurde nicht mehr leer und Samys Herz so voll wie einst im Offenbacher Mai. Er hatte nur noch selten Sodbrennen und nahm auch keine Schlaftabletten mehr, um die Nacht zu verkürzen. Den Beipackzettel der Pillen benutzte er als Lesezeichen. Im Übrigen las er nicht mehr eine Biographie über das Leben des im Ersten Weltkrieg gefallenen Dichters Rupert Brooke, die ihm sein Sohn zum Geburtstag geschenkt hatte, sondern Tania Blixens »Afrika, dunkel lockende Welt«. Das Buch hatte Martha vor der Auswanderung nach Kenia in Nürnberg gekauft und hatte es sowohl bei der hastigen Übersiedlung nach London als auch vor dem spöttischen Ausdruck in den Augen ihrer Tochter gerettet. Es war das

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