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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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bis dann«, sagte Freddy. Er streckte Rose seine Hand entgegen, doch er schaute dabei zum Klavierspieler hin. »Bis dann«, murmelte sie.
    Sie musste sich zwingen, weder aus dem Café zu rennen noch zu kichern. Als sie die ersten paar Schritte gelaufen war, lachte sie doch - so laut und befreit, dass ein alter Mann stehen blieb. Er stützte sich schwer auf einen Stock mit einem silbernen Knauf und wirkte, als wollte er Rose den Weg verstellen.
    »Sorry«, murmelte sie, doch ihr tat nichts Leid, höchstens der indignierte Griesgram, der sich immer noch nicht rührte und sich auch nicht vom Lächeln eines jungen Mädchens rühren ließ. »So sorry«, sagte sie nochmals, und als sie sicher war, der Alte könnte sie nicht hören, murmelte sie »bloody fool« und dachte vergnügt an ihre Englischlehrerin, die Slang im Aufsatz mit doppeltem Punktabzug geahndet hatte.
    Sie hüpfte über eine dicke braune Papiertüte, die in einer Wasserlache lag, und lief immer schneller, spürte, wie die Luft auf ihrer Haut immer kälter wurde, und hörte sich keuchen. Um ihre Lungen zu besänftigen und ihre Wangen zu erwärmen, wollte sie stehen bleiben, verpasste jedoch den richtigen Moment und rempelte, weil sie einem Kinderwagen ausweichen musste, einen Zeitungsverkäufer an. Seine Mütze fiel zu Boden, und er torkelte. Er beschimpfte Rose mit einem Wort, das sie noch nie gehört hatte, und machte eine Geste, die sie ebenfalls nicht kannte, doch sie lächelte ihn mit dem Ausdruck an, der ihr beim Abschied von Freddy so gründlich misslungen war, ein wenig schüchtern, aber nicht ohne Verlockung. Der Mann stieß Luft durch eine breite Zahnlücke und grinste. Er roch nach Bier und nach Fisch, der in ranzigem Öl gebraten worden war.
    Sein Pfiff und das Grinsen erschienen Rose noch ordinärer als seine Beschimpfung. Sie spürte eine Angst, die sie nicht als Abwehr erkannte, denn sie war Angst ebenso wenig gewohnt wie vulgäre Ausdrücke und Männer, die
    Frauen bedrohten. Weil sie ihre Furcht unsicher machte, kaufte sie ihm den »Evening Standard« ab. Um sich zu ermutigen, wollte sie mit der Zunge schnalzen, doch der Versuch misslang. Der Ton war kläglich und lächerlich. Der Zeitungsverkäufer tippte mit zwei Fingern an den Schirm seiner Mütze. Wieder sagte er etwas, das Rose nicht verstand. Dieses Mal fehlte ihr allerdings die Zeit zu sprachlichen Grübeleien, denn genau in dem Moment wurde ihr bewusst, dass sie wegen des angeblichen Konzerts mit Überlänge noch stundenlang nicht zu Hause würde erscheinen können, ohne dass ihre Mutter so viele Fragen stellte wie Freddy. Sie spürte ein starkes Bedürfnis, eine Laterne zu treten, holte sogar mit dem rechten Fuß aus, begnügte sich aber mit einem Fluch und staunte, dass sie dies in der Öffentlichkeit tat.
    »Verdammt«, bestätigte ihr der Zeitungsverkäufer und nickte. »Das ganze Leben ist zum Kotzen. Ich dachte immer, nur ich weiß das, Miss.«
    Das weiße Licht der Straßenlaternen spiegelte sich in großen Pfützen. Das Pflaster auf dem Bürgersteig der Regent Street glänzte. Am Himmel drohten schwarze Wolken. Der Regen setzte wieder ein, der Wind kam vom Norden und war schneidend. Die Menschen, die verlangend vor den eleganten Geschäften gestanden hatten, in denen nur die Reichen kauften, schlugen den Mantelkragen hoch und liefen eilig zu den Bushaltestellen. Fröstelnd knöpfte Rose ihre Jacke zu. Sie beschloss, bei erster Gelegenheit Freddy zu erwürgen und ihrem Vater endlich die Jacke aus rotem Lack abzuschwatzen, die sie sich schon seit langem wünschte, einstweilen jedoch nach Hause zu fahren und sich unterwegs einen plausiblen Grund zu überlegen, weshalb sie nicht im überlangen Konzert geblieben war. Ent-scheidungen zu treffen, befreite ihren Kopf von der Verdrießlichkeit des Nachmittags. Zufrieden schaute sie auf die Uhr; sie rechnete sich aus, wenn sie sich sehr beeilte, könnte sie noch dem Ungemach der Rushhour entkommen und zu Hause für den anstehenden Test in Geschichte rasch über die Tudorkriege nachlesen, dann in aller Ruhe mit Betsy quatschen und mit ihr die Vorteile von roten Lackjacken diskutieren.
    »Und von Männern, die nicht mit ihrem Wissen protzen«, murmelte sie. Kichernd und mit Riesenschritten rannte Rose in Richtung der U-Bahnstation los. Sie beschloss, sich den Satz zu merken, und am Abend David, der Boulevardzeitungen verachtete und ebenso die Menschen, die sie lasen, den »Evening Standard« aufs Bett zu legen. Wenn er eine seiner

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