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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Hochnäsige vor jedermann bezeugen konnte, was sich an einem späten Montagnachmittag vor dem Schaufenster von Libertys abspielte. Es war höchste Zeit, dass die gute Betsy mal von ihrem Podest stieg und erkannte, dass sie nicht die Einzige war, für die sich ein gut aussehender Mann interessierte.
    Rose fand Pascals Englisch wirklich entzückend. Melodisch und irgendwie geheimnisvoll. So wie die französischen Chansons, die ihre Mutter gelegentlich im Radio hörte. Selbst eine banale Frage klang bei diesem Sieger mit den funkelnden Augen romantisch, unglaublich romantisch. Eine Weile beschäftigte sich Rose mit dem Wesen der Romantik. Das Wort passte für so vieles im Leben; es galt für die Petticoats aus Nylon mit ihren raschelnden Spitzenvolants, die bei Kennerinnen gerade wieder modern wurden. Romantisch waren die schönen Spitzennachthemden aus großmütterlichen Truhen, die es neuerdings auf dem Markt in Petticoat Lane zu kaufen gab. Roses Herz, das so stürmisch klopfte und doch keinen Takt halten konnte, signalisierte ihr, dass Pascal auf eine ganz besondere Art romantisch war. Altmodisch romantisch. Und süß. Wie ihre Eltern, die sich vor anderen küssten, ohne rot zu werden, obgleich ihre Mutter ja bald vierzig war und Schuhe wie Mickymaus trug und für den Vater eine Tinktur im Badezimmer stand, die Hilfe bei Haarausfall versprach.
    Auch Pascal spürte, während vor dem Kaufhaus das Leben die Salti der Rushhour schlug, dass eine außergewöhnliche Stunde geschlagen hatte. Nicht nur eine für kurze, schnell flüchtende Träume, vielleicht gar eine Stunde für den Rest seines Londoner Aufenthalts. Rose war nicht wie die Mädchen, die er bisher in England kennen gelernt hatte. Das verdankte sie ihrer Großmutter. Granny Gram Gramps, neuerdings selbst mit einem Mann verbunden, der ein so komisches Englisch sprach wie die Ausländer im Film, hatte ja ihre Enkelin schon früh mit dem Umstand vertraut gemacht, dass nicht alle Menschen fähig sind, sich im korrekten Oxfordenglisch zu artikulieren, und dass sie es trotzdem wert sind, geliebt zu werden. Mit dieser in England seltenen Erkenntnis versehen, war die achtzehnjährige Rose Procter unendlich viel toleranter und für Pascal sympathischer als sämtliche englischen Mädchen, denen er bisher begegnet war. Schon am frühen Abend wurde aus einem hübschen kleinen Flirt ein Zustand, den er sich so manches Mal gewünscht hatte und meistens vergeblich - ein Lächeln führte zu einem zärtlichen Blick, ein Händedruck zu einem wohl gerundeten Mädchenknie, Lippen, die bei Kerzenschein leuchteten, zu einem Kuss. »Eine federleichte Decke fürs Herz«, formulierte der strebsame Casanova, geboren in dem Dorf Seranon in den Bergen und der Erste, der in seiner Klasse fließend hatte lesen können.
    Weil Casanova von der Bergwiese auch gelernt hatte, zu genießen und zu schweigen, wurde der Satz, wie immer, nicht laut ausgesprochen. Für Pascal war das kleine Stück Poesie ein Geschenk der Götter für Menschen, die begriffen haben, dass im Leben nicht alles mit Geld zu kaufen ist. Den schönen Satz hatte Pascal in einem Buch gefunden, das eine Frau aus Brüssel mit einem Malteser Hündchen auf dem Arm bei der Abfahrt achtlos in der Halle des Negresco hatte liegen gelassen. Auf dem roten Rundsofa, neben der dicken hellbraunen Katze, die laut Anordnung vom Chefportier wie ein Gast hofiert werden musste. »Bist du vom Himmel gefallen, Rose?«, fragte er und schloss die Augen.
    »Ja«, hauchte Rose. Sie war sehr froh, dass sie einen Namen hatte, den ein Franzose mühelos aussprechen konnte. »Das haben meine Eltern extra so gemacht«, erzählte sie. »Sie heißen nämlich Emil und Liesel und ärgern sich heute noch darüber. Meine Eltern sind so. Sie sind wirklich lieb, aber irgendwie komisch und ziemlich gehemmt. Und schrecklich gestrig. Jedenfalls oft. Es ist ihnen peinlich, dass sie nicht in England geboren sind. Dabei kann sich doch niemand aussuchen, wo er geboren wird. Das habe ich mal versucht, ihnen zu erklären, aber es hat nicht viel geholfen.«
    »Emile«, sagte Pascal, der nichts von alldem verstanden hatte, »ist doch ein guter Name. In Frankreich haben wir sogar einen Schriftsteller, der Emile hieß. Emile Zola.« »Das muss ich unbedingt meinem Vater erzählen. Der interessiert sich für Schriftsteller. Ich glaube, er wäre selbst gern Dichter geworden.«
    Außer Zola, dem zu Ehren Pascals erster Chef in Avignon einen Eisbecher »Coupe Emile« benannt hatte,

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