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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Zufällen gespickten Entwicklung. Es hatte nämlich nicht der geringste Anlass für Rose bestanden, Vorsorge für eine verspätete Heimkehr zu treffen, doch sie hatte bereits als Sechzehnjährige die Gewohnheit entwickelt, in permanenter Bereitschaft für einen möglichen Ernstfall zu sein, und von Zeit zu Zeit hatte sie einem schwer zu widerstehenden Bedürfnis nachgegeben, ihre Kunstfertigkeit auf diesem Gebiet zu erproben.
    Die gewiefte kleine Schwindlerin hatte die Ausrede erfunden, um mit Freddy Morton in dem berühmten Café Royal den Fünfuhrtee einzunehmen. Sie hatte ihn kurzfristig aus der Versenkung geholt. Zwar entzückten sie Freddys Einladungen schon längst nicht mehr, aber sie erschienen ihr immer noch reizvoller als ein Nachmittag allein zu Hause. Es sollte Rose’ einziger Besuch im Café Royal werden, denn das von Feingeistern und Literaturkennern in aller Welt geliebte Ambiente gefiel dem wirbeligen Teenager nur in Maßen. Indes war Rose ebenso flexibel wie kompromissbereit; sie übersah nur selten die Relativität der Dinge. Im Vergleich zu der Cafeteria in der Schule mit dem Geruch von Bratenfett, Bohnerwachs und angebrannter Milch war die gastliche Stätte mit ihrem verblichenen Plüsch und Pomp ein Paradies.
    Freddy hielt die Erdbeermarmelade, die dort in dünnwandigen Porzellanschälchen serviert wurde, für die beste in England. Zudem war er schon in jungen Jahren ein so großer Snob wie sein Vater erst im Alter, und das Café Royal kredenzte einen vollmundigen Garden Orange Valley First Flush, von dem er fand, nur der würde dem Niveau von Kennern mit außergewöhnlichen Ansprüchen genügen. Der Tee galt als ein ebenso klassenbewusstes Gaumenvergnügen wie ein Chablis premier cru bei Weinkennern. Außerdem interessierte sich laut Eigenauskunft der junge Morton für Holzstiche und Stilmöbel - die waren im Café Royal von exquisiter Qualität. Den europäischen Stil des Hauses mit der zurückhaltenden Bedienung und ebensolcher Beleuchtung, dem feinen Geschirr aus Limoges und der dezenten Kaffeehausmusik fand Freddy bewegend romantisch. Besonders stark berührte ihn der Umstand, dass Oscar Wilde sich im Café Royal mit seinen Freunden getroffen hatte. »Eine beschämende Geschichte«, seufzte er.
    »Ja«, seufzte Rose zurück.
    Der Seufzer, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wem oder welchem Geschehnis er zu gelten hatte, entsprach ihrer Stimmung. Sie fand Tee als Getränk langweilig und als Gesprächsthema noch öder. Gern hätte sie ein Cola bestellt, befürchtete allerdings, sie müsste, wenn sie das tat, so lange von Cola reden wie Freddy vom Tee. Für Erdbeermar-melade schwärmte sie nicht, für Stilmöbel noch viel weniger. Sie fand, als sie ihn genau und schon leicht erschöpft betrachtete, dass Freddy Morton seinen Tee schlürfte wie Samys Katze ihre Sonntagssahne. Weil sie den Vergleich so komisch fand, lachte sie laut und war dann genötigt, in aller Eile einen Grund für ihre Heiterkeit zu erfinden. Freddy lachte mit, doch weder amüsiert noch herzhaft.
    Jedes Thema, das er ausprobierte, langweilte Rose noch mehr als das vorangegangene. Die Klaviermusik machte sie schläfrig. Sehnsüchtig dachte sie an das Konzert, das sie zu Hause erfunden hatte.
    Von Oscar Wilde hatte Rose ihr Lebtag nichts gehört. Als Freddy sich immer weiter mit ihm beschäftigte und die Szene seiner Verhaftung mit drei Stückchen rosafarbenem Zuckerguss, die er von einem wunderbar aussehenden Petitfour abgekratzt hatte, auf dem Tischtuch nachstellte, verlor Rose endgültig den Faden. Erst in der Erinnerung und vier Wochen später wurde ihr klar, dass sie nicht mehr gewusst hatte, ob Freddy vom Tee, der Erdbeermarmelade oder seinem Oscar geschwärmt hatte. Jedenfalls schien sie auf eine seiner vielen enervierenden Fragen eine grundverkehrte Antwort gegeben zu haben. Das war das erste Missverständnis. Es führte in einem rasanten Tempo zu weiteren. Schließlich, doch ohne Bedauern, gab Rose das ungleiche Match endgültig verloren. Wieder einmal erwies sie sich als Meisterin des Stegreifspiels. Mit einem Ausdruck von Bestürzung und Reue, der ihr noch nie so gut gelungen war wie im Schlussakt der Freddy-Episode, fiel ihr ein, dass sie eine Verabredung von immenser Bedeutung für ihren weiteren Lebensweg vergessen hatte.
    »Mit der Geographielehrerin«, stammelte sie mädchenhaft scheu. Die Gemächlichkeit, mit der sie sich verabschiedete, und dass sie kein bisschen errötete, gaben ihr neue Lebenskraft.
    »Also

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