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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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üblichen Bemerkungen machte, wollte sie sagen: »Den Standard habe ich im Café Royal mitgenommen.« Sie übte den näselnden Ton und einen blasierten Gesichtsausdruck und fand das Leben ungeheuer lustig. Einen kurzen Augenblick hatte sie gar ein schlechtes Gewissen, weil sie Freddy nicht gut behandelt hatte. Sie nahm sich vor, doch nicht Nein zu sagen, wenn er sie das nächste Mal einlud. Betsy hatte Recht. Eine Frau brauchte viele Eisen im Feuer.
    Dass der Regen im gleichen Moment gefror, in dem er den Boden erreichte, wurde Rose noch nicht einmal klar, als sie auf einer zugefrorenen Pfütze ausrutschte. Zwar hörte sie ein dumpfes Geräusch, und sie spürte auch, wie ihre Beine ihr entglitten, dass die Arme bleischwer wurden und ihre Hände ins Leere griffen, es dauerte dennoch einige Sekunden, ehe sie realisierte, dass sie gestürzt war. Sie wollte schreien, ganz laut, aber ihre Zähne schlugen aufeinander und machten sie stumm.
    Rose lag unmittelbar vor dem Kaufhaus Libertys, nur durch die Glasscheibe, die sie im Stehen hätte anfassen können, von einer Schaufensterpuppe in einem glitzernden silbernen Abendkleid getrennt. Es erschien ihr immens wichtig, die Puppe im Blick zu behalten und so lange zu fixieren, bis sie, Rose Procter aus Hampstead, wieder wusste, was geschehen war, wo sie sich befand und wie sie aufstehen konnte, ohne Aufsehen zu erregen. Die feine Puppenlady hinter Glas hatte eine lange Zigarettenspitze in der Hand und auf dem Kopf einen kleinen lilafarbenen Hut mit einem Hauch von Schleier, in den winzige Silberperlen gesetzt waren. Wie bei Aschenputtel, ehe sie in einer gläsernen Kutsche zum Ball fuhr, hockten zu ihren Füßen zwei weiße Tauben.
    Bis sie ihr Herz schlagen hörte und den trommelnden Druck in der Brust spürte, empfand Rose keinen Schmerz, nur einen Schock, der sie im ersten Augenblick schwindlig machte, dann mit wütenden Klauen nach ihr griff und den Körper vereiste. Ihre Geldbörse war aus ihrer Hosentasche gefallen. Der »Evening Standard« für David lag auf dem Boden und bäumte sich gegen den Wind auf. Trotz ihres Schocks war Rose klar, dass sie umgehend ihr Portemonnaie retten musste, wenn sie zu einem Ticket für die U-Bahn kommen wollte. Sie machte ihren ersten Versuch aufzustehen. Ein stechender Schmerz raste durch ihren rechten Knöchel. Unmittelbar darauf fiel ihr Körper in sich zusammen wie der einer Puppe, die mit Sägemehl gestopft ist und der eine frevelnde Hand ein Loch in den Balg gestochen hat. Tränen liefen über Rose’ Gesicht. Sie merkte, dass auf der Straße die Konturen des Geschehens ineinander flossen, und sie begann heftig zu weinen. Es gab keine Farben mehr, keine Lackjacken, keine Welt, kein
    Leben, noch nicht einmal Freddy Morton und Erdbeer-marmelade zum Tee. Es gab nur noch das unergründliche, vernichtende Schwarz. Und doch gab es in dieser Collage des Nichts den Druck einer Männerhand auf zarten, bebenden Frauenschultern. Oder war die Hand vor den Tränen gekommen und der herrlich leuchtende Regenbogen vor dem tödlichen Schwarz? War die Welt immer so schön und überschaubar und gut gewesen?
    »Alles war zu gleicher Zeit passiert«, pflegte sie Jahre später zu erzählen. Da waren allerdings die Reihenfolge der Ereignisse und die Verwirrungen des Schicksalstages überhaupt nicht mehr von Belang. Zudem war die Geschichte für den, den sie außer Rose betraf, nicht mehr interessant genug, um sie immer wieder zu hören.
    Er hieß Pascal, was Rose erst im Laufe des Abends und nach zwei Gläsern Wein, die ihre Zunge wundersam geschmeidig machten, zu seiner Zufriedenheit auszusprechen lernte. Zunächst trug der Mann mit den virilen Armen die ihm unerwartet zugekommene Trophäe fort vom Schauplatz des Geschehens. Diese Trophäe war da noch ein schluchzendes Bündel Elend und außerstande, den Moment der Rettung als einen solchen zu erkennen. Auf einem Mauervorsprung vor Libertys, nun in der verkehrsarmen Seitenstraße, setzte der beherzte Samariter Rose ab. Da hatte er die schöne Hilfsbedürftige schon so weit beruhigt, dass sie nur noch leise vor sich hin jammerte. Ihren Arm vermochte sie bereits mit zupackendem Griff um seinen Nacken zu schlingen. Sie duftete, wie seine beglückte Nase ihn wissen ließ, nach den heimischen Lavendelfeldern von Grasse. Mit geschultem Männerblick entdeckte der empfindsame Retter, dass das köstliche Geschenk, das ihm vor die Füße gerollt war, zu dem glück-lichen Frauentypus gehörte, der vom Weinen immer

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