Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
Werkstatt. Wie auf Kommando schlich ich dann auf Zehenspitzen aus meinem Zimmer und kroch ins große Bett meiner Eltern. So war das in unserer Familie: Irgendjemand nahm immer den Platz eines anderen ein. Ich schmiegte mich dann mit der Wange an den Rücken meiner Mutter, hörte sie meinen Namen murmeln und drückte ihren vor Furcht zitternden Leib an mich.
    Und in dieser Nacht hörte ich das Weinen erneut. Ich war davon aufgewacht. Nur die Stimme meines Vaters fehlte. Einen Moment lang wusste ich die überladene Tapete und das hereinfallende Mondlicht nicht einzuordnen. Ich stieg aus dem Bett und wandte mich zunächst in Richtung Badezimmer, doch dann machte ich kehrt und ging zur Tür meiner Mutter.
    Ich hatte das nicht geträumt. Sie hatte sich unter der Decke zusammengekauert, drückte sich die Fäuste auf die Augen und weinte so heftig, dass sie kaum noch Luft bekam.
    Ich trat von einem Fuß auf den anderen und krallte mich nervös in mein Nachthemd. Ich konnte es einfach nicht. Es war so viel passiert. Ich war kein vierjähriges Kind mehr, und sie war nur noch eine Fremde für mich, praktisch ein Nichts.
    Ich erinnerte mich daran, wie ich heute Nachmittag bei ihrer Berührung zusammengezuckt war und wie sehr ich mich darüber geärgert hatte, dass sie mein Erscheinen so leicht nahm wie einen Nachmittagstee. Ich erinnerte mich daran, mein Gesicht in ihren Augen gesehen zu haben, als sie über meinen Vater gesprochen hatte. Und ich dachte über das Zimmer nach, dieses furchtbare Zimmer, das sie extra für mich hergerichtet hatte.
    Im selben Augenblick, da ich die Schwelle überschritt, rief ich mir all die Gründe ins Gedächtnis, warum ich das nicht tun sollte: Ich kenne sie doch gar nicht. Und sie kennt mich auch nicht. Ich darf ihr nicht vergeben. Niemand darf das. Ich krabbelte unter die Decke, und mit einem Seufzen drehte ich die Uhr zwanzig Jahre zurück und machte dort weiter, wo ich aufgehört hatte.

K APITEL 28
    N ICHOLAS
    Nicholas Prescott war bereits inoffiziell mit Paige O’Toole verlobt gewesen, als sie ihr viertes Date hatten. Nicholas holte sie damals in der Wohnung dieser Kellnerin ab, Doris hieß sie, in diesem kleinen, flohverseuchten Haus am Porter Square. Er hatte ihr eine Nachricht auf der Arbeit hinterlassen und sie gebeten, etwas in Richtung Haute Couture anzuziehen, da er sie an diesem Abend in ein Spitzenrestaurant ausführen würde. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass Paige Doris und die Nachbarn hatte fragen müssen, was bitte Haute Couture sei. Da die ihr jedoch nicht hatten helfen können, war sie schließlich in die öffentliche Bibliothek gegangen.
    Schließlich trug ein schlichtes schwarzes ärmelloses Kleid, und sie hatte sich das Haar zu einem lockeren Knoten hochgesteckt. Ihre Augen waren groß und leuchtend. Ihre Schuhe waren aus falschem Alligatorleder und hatten hohe, dünne Absätze. Es war die Art von Schuhen, die Nicholas’ College-Freundinnen ›Fick-Mich-Pumps‹ genannt hätten – obwohl einem dieser Begriff in Zusammenhang mit Paige nie eingefallen wäre.
    Am Ende ihrer anderen drei Dates war Nicholas nie weiter gegangen, als sanft über ihre Brust zu streichen, und Paiges schwaches Zittern hatte ihm verraten, dass das auch genug war. Trotz der Tatsache, dass sie von daheim weggelaufen war, dass sie keine College-Ausbildung hatte und dass sie als Kellnerin in einem Schnellrestaurant arbeitete, war Paige O’Toole für Nicholas so keusch, wie er es sich nur vorstellen konnte. Wenn er sie sich vorstellte, dann dachte er an das Bild von Psyche auf den Etiketten von White Rock Ginger Ale, einer Kindfrau, die auf einem Felsen kniete und ihr Spiegelbild im Wasser anschaute, als sei sie überrascht, es zu sehen. Paiges schüchterne Art zu sprechen und ihre instinktive Angewohnheit, ihren Körper zu bedecken, wenn Nicholas sie berührte … Es passte alles. Sie hatten nie darüber gesprochen. So war Nicholas nun einmal. Aber er glaubte an die Macht des Zufalls, und er war sicher, es hatte einen Grund dafür gegeben, dass er zur selben Zeit im Mercy gewesen war, als sie dort zu arbeiten begonnen hatte. Paige wusste es nicht, aber sie hatte ihr ganzes Leben auf ihn gewartet.
    »Du siehst wunderbar aus«, hatte Nicholas gesagt und sie unter dem linken Ohr geküsst. Sie warteten auf den Aufzug.
    Paige strich ihr Kleid glatt und zupfte es zurecht, als würde es ihr nicht passen. »Das gehört Dor’«, gab sie zu. »Ich habe keine Couture. Also sind wir ihren Kleiderschrank

Weitere Kostenlose Bücher