Und dennoch ist es Liebe
sagte meine Mutter. »Brichst du den Kern nicht raus?« Sie nahm mir den Salat ab, schlug den Strunk an die Arbeitsplatte und drehte ihn geschickt heraus. Und der Salat öffnete sich wie eine Blüte. »Hat dein Vater dir das nie gezeigt?«, fragte sie leichthin.
Ich verkrampfte mich, weil sie mich kritisierte. Nein , wollte ich ihr sagen. Er war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt. Zum Beispiel damit, mir ein moralisches Bewusstsein zu vermitteln, mir zu zeigen, welchen Menschen man trauen kann, und mir die Ungerechtigkeit der Welt zu erklären. »Nein«, antwortete ich leise, »das hat er nicht getan.«
Meine Mutter zuckte mit den Schultern und ging wieder an den Herd. Ich gab die Salatblätter in eine Schüssel und riss sie dabei wütend in kleine Stücke. Dann schälte ich eine Karotte und schnitt eine Tomate. Plötzlich hielt ich inne. »Gibt es eigentlich etwas, das du nicht magst?«, fragte ich. Meine Mutter hob den Blick. »Im Salat, meine ich.«
»Zwiebeln«, antwortete sie und zögerte. »Was ist mit dir?«
»Ich esse alles«, erklärte ich ihr. Ich schnitt eine Gurke und dachte darüber nach, wie lächerlich es war, dass ich nicht wusste, was meine Mutter mochte und was nicht. Ich wusste auch nicht, wie sie ihren Kaffee trank. Ich kannte ihre Schuhgröße nicht, und ich wusste nicht, auf welcher Seite des Bettes sie schlief. »Weißt du«, sagte ich, »wenn unser Leben ein wenig anders verlaufen wäre, würde ich dich diese Dinge jetzt nicht fragen.«
Meine Mutter drehte sich nicht zu mir um, doch kurz hörte sie auf, in der Soße zu rühren. »Unsere Leben verliefen allerdings ein wenig unterschiedlich, oder meinst du nicht?«, sagte sie.
Ich starrte auf ihren Rücken, bis ich es nicht mehr ertra gen konnte. Dann warf ich die Karotte, die Tomate und die Gurke in die Schüssel, während Wut und Enttäuschung in mir hochkochten und mir die Luft abschnürten.
*
Wir aßen auf der Veranda und schauten uns hinterher den Sonnenuntergang an. Wir tranken kalten Pfirsichwein aus Cognacschwenkern, an deren Füßen noch die Preisschilder klebten. Meine Mutter deutete zu den Bergen im Hintergrund, die zum Greifen nahe schienen. Ich konzentrierte mich auf die körperlichen Dinge: unsere Knie, die Wölbung unserer Schenkel und die Verteilung unserer Sommersprossen. All das war sich unglaublich ähnlich. »Als ich hierhin gezogen bin«, sagte meine Mutter, »habe ich mich immer gefragt, ob Irland wohl genauso ist. Dein Vater hat stets gesagt, er würde mich dorthin bringen, doch das ist nie geschehen.« Sie hielt kurz inne. »Ich vermisse ihn sehr, weißt du.«
Ich schaute sie an. »Er hat mir erzählt, dass ihr schon nach drei Monaten geheiratet habt.« Ich trank einen kräftigen Schluck Wein und lächelte vorsichtig. »Er hat gesagt, es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen.«
Meine Mutter legte den Kopf zurück und entblößte ihren weißen Hals. »Das könnte durchaus sein«, sagte sie. »Ich kann mich nicht sonderlich gut daran erinnern. Ich weiß noch, dass ich es gar nicht erwarten konnte, aus Wisconsin wegzukommen, und dann erschien Patrick wie von Zauberhand. Ich habe es immer traurig gefunden, dass er hat leiden müssen, als ich herausfand, dass mein Wunsch wegzulaufen eigentlich gar nichts mit Wisconsin zu tun hatte.«
Das war mein Stichwort. »Als ich klein war«, sagte ich, »habe ich mir immer Gründe ausgemalt, die dich zum Gehen bewegt haben könnten. Manchmal habe ich mir vorgestellt, du seiest in einer Gang gewesen, und als du aussteigen wolltest, hätten sie deine Familie bedroht. Und ein anderes Mal habe ich mir gedacht, du hättest dich vielleicht in jemand anderen verliebt und seiest mit ihm durchgebrannt.«
»Da war tatsächlich jemand anderes«, sagte meine Mutter ganz ehrlich, »aber das war, nachdem ich gegangen war, und ich habe ihn nie geliebt. Das wollte ich Patrick nicht auch noch nehmen.«
Ich stellte das Glas neben mich und strich mit dem Finger über den Rand. »Weshalb bist du dann gegangen?«, fragte ich.
Meine Mutter stand auf und rieb sich die Oberarme. »Diese verdammten Moskitos«, sagte sie. »Ich schwöre dir, die sind das ganze Jahr hier. Ich werde mal nachsehen, ob im Stall alles in Ordnung ist.« Sie schickte sich an zu gehen. »Du kannst bleiben oder mitkommen.«
Ich starrte sie erstaunt an. »Wie kannst du das nur tun?«
»Was denn?«
»Einfach so das Thema wechseln.« Ich war so weit gefahren, nur um noch weiter weggestoßen zu werden. Ich stieg die
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