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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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    »Ich habe heute Morgen ein Foto hinter meinem Router gefunden. Erinnerst du dich noch daran, wie wir mal in den Streichelzoo gefahren sind?« Ja, das tat ich, aber ich wollte ihn nicht sprechen hören. Erst jetzt erkannte ich, wie sehr ich den Klang seiner Stimme vermisst hatte. »Du hast dich immer so sehr darauf gefreut, Schafe zu sehen«, fuhr er fort, »Lämmer vor allem, denn ich hatte dir von der Farm in Donegal erzählt. Ich glaube, da warst du höchstens sechs.«
    »Oh, ich kenne das Foto«, rief ich und sah vor meinem geistigen Auge, wie ich ein Lamm an mich drückte.
    »Es hätte mich auch überrascht, wenn du das vergessen hättest«, sagte mein Vater. »Was du an dem Tag alles abbekommen hast! Du bist mit einer Hand voll Futter in das Gehege gegangen, tapfer wie Cuchulainn höchstpersönlich, und jedes Lama, jede Ziege und jedes Schaf darin ist auf dich zugestürmt und hat dich über den Haufen gerannt.«
    Ich runzelte die Stirn und erinnerte mich daran, als wäre es gestern gewesen. Sie waren von allen Seiten gekommen, wie Albträume mit ihren leeren, toten Augen und den schiefen gelben Zähnen. Flucht war unmöglich gewesen. Und hier, in meinem Hochzeitskleid, beginne ich, bei dem Gedanken daran leicht zu schwitzen. Und ich merke, dass ich mich wieder genauso fühle, genau in diesem Augenblick.
    Mein Vater grinste – das hörte ich an seinem Tonfall. »Was hast du so gemacht?«, fragte er.
    »Das, was ich immer gemacht habe«, antwortete ich und hörte, wie sein Lächeln verschwand.
    Ich hörte all die Dinge durch meinen Kopf rauschen, die ich ihm sagen wollte und sagen musste. Und inmitten des Schweigens hörte ich Dads Gedanken. Warum war er nicht gekommen und hatte mich aus Massachusetts zurückgeholt, fragte er sich. Warum hatte er die Trümmer nicht eingesammelt und alles wieder heil gemacht? Ich fühlte, wie er all das durchging, was wir zueinander gesagt hatten, und all das, was wir uns verschwiegen hatten, und wie er nach dem Anknüpfungspunkt suchte, sodass es diesmal anders sein würde.
    Ich wusste, was zu tun war, er jedoch nicht. Der Gott meines Vaters predigte Vergebung, doch tat er das auch?
    Plötzlich wollte ich ihm nur noch den Schmerz nehmen. Ich hatte gesündigt. Es war an mir , Schuld zu empfinden. Mein Vater hätte das nicht tun dürfen. Ich wollte ihn wissen lassen, dass er nicht die Verantwortung für alles trug, nicht für das, was ich getan hatte, nicht für mich. Und da er nicht glaubte, dass ich auf mich selbst aufpassen konnte – das würde er nie glauben –, sagte ich ihm, dass sich nun jemand anderes um mich kümmern würde. »Dad«, sagte ich, »ich werde heiraten.«
    Ich hörte ein seltsames Geräusch, als hätte ich Dad die Luft aus den Lungen getrieben. »Dad?«, hakte ich nach.
    »Ja.« Er atmete tief durch. »Liebst du ihn?«, fragte er.
    »Ja«, gab ich zu. »Das tue ich wirklich.«
    »Das macht es nur umso schwerer«, sagte er.
    Kurz wunderte ich mich über diese Worte, und als ich fühlte, dass ich gleich weinen würde, legte ich die Hand auf die Sprechmuschel und zählte langsam bis zehn. »Ich wollte dich nicht verlassen.« Das sagte ich jedes Mal, wenn ich ihn anrief. »Ich habe nicht damit gerechnet.«
    Hunderte von Meilen entfernt seufzte mein Vater. »Das tut man nie«, sagte er.
    Ich dachte an die schöne Zeit zurück, da er mich als Kind gebadet, mir meinen Schlafanzug angezogen und mir die Knoten aus dem Haar gekämmt hatte. Damals war alles so leicht gewesen. Ich dachte daran zurück, wie ich auf seinem Schoß gesessen, ins Kaminfeuer geschaut und mich gefragt hatte, ob es wohl etwas Schöneres gab auf dieser Welt.
    »Paige?«, sagte Dad in das Schweigen hinein. »Paige?«
    Ich beantwortete nicht alle Fragen, die er mir zu stellen versuchte. »Ich werde heiraten. Das wollte ich dich nur wissen lassen«, sagte ich, aber ich war sicher, dass er die Angst in meiner Stimme genauso deutlich hören konnte wie ich die Furcht in seiner.
*
    Es begann in meinem Bauch und in meiner Brust, dieses Gefühl, als drehe sich alles immer schneller und schneller in mir. Ich spürte, dass Nicholas sich zurückhielt. Er war angespannt wie ein Puma und wartete darauf, dass ich bereit war. Ich schlang Arme und Beine um ihn, und wir kamen gemeinsam. Ich liebte die Art, wie er seinen Nacken krümmte, ausatmete und dann die Augen öffnete, als wisse er nicht so recht, wo er sich befand und wie er hierhergekommen war. Ich liebte es zu wissen, dass ich dafür

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