Und dennoch ist es Liebe
Ich verließ mich darauf, dass er mich an Feiertage erinnerte, mich sicher von der Arbeit nach Hause brachte und meine Freizeit füllte. Es fiel mir so leicht, mit seinem Leben zu verschmelzen, dass ich mich manchmal fragte, ob ich ohne ihn überhaupt existiert hatte.
»Ich muss das nicht noch einmal überdenken«, sagte Nicholas. »Wir werden heiraten.«
»Und ich nehme an, Harvard wird dich behalten, weil du Gottes Geschenk an die Medizin bist, ja?«
Die Worte waren schon heraus, als mir klar wurde, dass ich es anders hätte formulieren sollen. Nicholas schaute mich an, als hätte ich ihn geschlagen. »Ich könnte mich exmatrikulieren«, sagte er, und seine Stimme klang dabei, als rede er in einer Fremdsprache.
Doch ich wollte den Rest meines Lebens mit keinem Mann verheiratet sein, der mich unterschwellig dafür hasste, dass er nicht das geworden war, was er hatte sein wollen. Ich liebte Nicholas nicht, weil er dereinst Arzt sein würde; ich liebte ihn, weil er ohne Zweifel der Beste war. Und Nicholas wäre nicht Nicholas gewesen, wenn er Kompromisse eingegangen wäre. »Vielleicht kannst du ja mal mit deinen Professoren reden«, sagte ich. »Nicht jeder in Harvard hat ohne Ende Geld. Es gibt doch sicher auch Stipendien und Förderprogramme. Und nächstes Jahr werden wir mit deinem Gehalt als Assistenzarzt und meinem Lohn als Kellnerin schon zurechtkommen. Ich könnte mir auch einen zweiten Job besorgen und du einen Studienkredit aufnehmen.«
Nicholas zog mich neben sich auf die Piniennadeln und hielt mich fest. In der Ferne hörte ich einen Eichelhäher. Nicholas hatte mich, das Stadtmädchen, diese Dinge gelehrt: den Unterschied zwischen dem Gesang von Spatz und Amsel, wie man ein Feuer mit Birkenrinde macht und wie man Käfer voneinander unterscheidet. Ich spürte, wie Nicholas’ Brust bei jedem Atemzug bebte. Im Geiste hatte ich schon eine Liste mit Leuten zusammengestellt, die wir morgen noch kontaktieren könnten, um mit ihnen über unsere finanzielle Zukunft zu sprechen, jedenfalls war ich sehr zuversichtlich. Meine eigene Zukunft konnte ich für eine Weile hintanstellen. Immerhin würde die Kunsthochschule auch morgen noch da sein, und um Künstler zu werden, musste man noch nicht einmal eine besuchen. Außerdem glaubte ein Teil von mir, dass ich die Kunsthochschule gegen etwas genauso Gutes eintauschte. Nicholas liebte mich, Nicholas hatte beschlossen, bei mir zu bleiben. »Ich werde für dich arbeiten«, flüsterte ich ihm zu, und noch während ich das sagte, erinnerte ich mich an das Alte Testament, an Jakob, der sieben Jahre lang für Rachel geschuftet und noch immer nicht bekommen hatte, was er wollte.
*
Ich stand kurz davor, die Kontrolle zu verlieren. Nicholas’ Hände, Hitze und Stimme waren überall. Meine Finger wanderten seine Arme hinauf und über seinen Rücken, und sie zwangen ihn, zu mir zu kommen. Er spreizte meine Beine und legte sich zwischen sie, und ich erinnerte mich, was von mir erwartet wurde. Nicholas küsste mich, und dann bewegte er sich in mir, und ich riss die Augen auf. Ich sah nur ihn. Nicholas füllte meinen Himmel ganz und gar.
*
»Ich würde gerne ein R-Gespräch anmelden«, sagte ich zu der Dame in der Telefonvermittlung. Ich flüsterte, obwohl Nicholas nicht einmal in der Nähe war. Eigentlich sollten wir uns in zwanzig Minuten im Büro des Friedensrichters treffen, aber ich hatte ihm gesagt, ich müsse noch etwas für Lionel erledigen. Ich versuchte, mit meinem guten Kostüm nicht die verdreckte Scheibe der Telefonzelle zu berühren, und trommelte mit den Fingern aufs Telefon. »Bitte, sagen Sie, es sei Paige.«
Es klingelte zehnmal, dann schlug die Dame mir vor, es später noch mal zu versuchen, doch plötzlich nahm mein Vater ab. »Hallo«, sagte er, und seine Stimme erinnerte mich an seine Zigaretten und die graue Packung, in der sie kamen.
»Ein R-Gespräch von Paige. Nehmen Sie das Gespräch an?«
»Ja«, antwortete mein Vater. »Ja, natürlich.« Er wartete eine Sekunde, bis die Dame aus der Leitung war, und rief dann meinen Namen.
»Dad«, sagte ich zu ihm, »ich bin noch immer in Massachusetts.«
»Ich wusste, dass du mich anrufen würdest, Liebling«, sagte mein Vater. »Ich habe erst heute an dich gedacht.«
Sofort keimte Hoffnung in mir auf. Wenn ich nicht allzu genau hinhörte, dann konnte ich ignorieren, wie belegt seine Stimme war. Vielleicht würden Nicholas und ich ihn ja besuchen, und vielleicht würde er eines Tages auch mich
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