Und dennoch ist es Liebe
keine Freunde hatte.
Als der Hubschrauber über dem Asphalt auf dem Dach des Saint Cecilia Krankenhauses schwebte, griff Nicholas nach der Kühlbox, in der das Herz transportiert werden würde. »Gehen wir«, sagte er in brüskem Ton und drehte sich zu den beiden Assistenzärzten um, die ihn begleitet hatten. Er stieg aus dem Hubschrauber und schaute nervös auf seine Uhr. Dann warf er sich seine lederne Bomberjacke über, schützte sein Gesicht vor dem Regen und lief ins Krankenhaus, wo bereits eine Krankenschwester auf ihn wartete. »Hi«, sagte er und lächelte. »Ich habe gehört, Sie hätten ein Herz für mich.«
Nicholas und seine beiden Assistenten brauchten weniger als eine Stunde, um das Herz zu entnehmen. Wieder im Hubschrauber, stellte Nicholas die Kühlbox zwischen seine Füße. Kaum war die Maschine gestartet, da legte Nicholas den Kopf zurück und hörte den beiden Assistenzärzten zu, die hinter ihm saßen. Sie waren gute Chirurgen, doch die Kardiologie war nicht ihr Lieblingsgebiet. Falls Nicholas sich recht erinnerte, tendierte einer der beiden zur Orthopädie und der andere zur allgemeinen Chirurgie. »Eigentlich bist du dran«, sagte einer der Assistenzärzte und mischte Spielkarten.
»Mir scheißegal«, erwiderte der zweite, »solange wir kein Maumau spielen.«
Nicholas ballte instinktiv die Fäuste. Er drehte den Kopf, um aus dem Fenster zu sehen, musste aber feststellen, dass der Hubschrauber gerade durch eine dichte graue Wolke flog. »Verdammt«, knurrte er und schloss die Augen. Er hoffte, von Paige zu träumen.
*
Nicholas war sieben, und seine Eltern dachten über eine Scheidung nach. Zumindest hatten sie es so ausgedrückt, als sie sich mit ihrem Sohn in der Bibliothek zusammengesetzt hatten. Das ist nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest , hatten sie gesagt. Aber Nicholas kannte einen Jungen in der Schule, dessen Eltern geschieden waren. Sein Name war Eric, und er lebte bei seiner Mutter, und zu Weihnachten, als die Klasse Giraffen aus Pappmaché gebastelt hatte, hatte Eric zwei machen müssen, für zwei verschiedene Weihnachtsbäume. Nicholas erinnerte sich noch gut daran, besonders weil Eric noch lange in der Handwerksklasse hatte sitzen müssen, während alle anderen schon zum Spielen gegangen waren. Nicholas hatte den Raum als Letzter verlassen, doch als er sah, wie sehnsüchtig Eric zur Tür blickte, hatte er um Erlaubnis gebeten, bleiben zu dürfen. Eric und Nicholas hatten beide Giraffen im gleichen Blau bemalt und über alles gesprochen, außer über Weihnachten.
»Aber wo«, fragte Nicholas, »wird Daddy dann Weihnachten sein?«
Die Prescotts schauten einander an. Es war Juli. Schließlich hatte Nicholas’ Vater seinem Sohn geantwortet: »Wir denken doch nur darüber nach. Und niemand hat gesagt, dass ich derjenige sein werde, der geht. Eigentlich«, fuhr Robert Prescott fort, »wird niemand gehen.«
Nicholas’ Mutter machte ein seltsames Geräusch und verließ den Raum. Sein Vater hockte sich vor ihn. »Wenn wir den Anwurf noch sehen wollen«, sagte er, »dann sollten wir jetzt besser gehen.«
Nicholas’ Vater hatte Saisonkarten für die Red Sox – drei Plätze –, aber er nahm seinen Sohn nur selten mit. Für gewöhnlich lud sein Vater Kollegen ein und dann und wann auch einen langjährigen Patienten. Jahrelang hatte Nicholas sich die Spiele auf Kanal 38 angeschaut und immer gehofft, die Kamera würde zur Third Base schwenken und er einen Blick auf seinen Vater erhaschen. Doch bis jetzt war das nie geschehen.
Nicholas durfte ein, zwei Spiele pro Saison besuchen, und das war stets der Höhepunkt des Sommers. Er hatte sich die Termine auf dem Kalender in seinem Zimmer markiert und jeden Tag bis zum Spiel abgestrichen. Am Abend zuvor hatte er die Wollmütze mit dem Logo der Red Sox herausgekramt, die er vor zwei Jahren zum Geburtstag bekommen hatte, und sie in seinen kleinen Fanghandschuh gesteckt. Bei Sonnenaufgang stand er auf, er war bereit – obwohl sie erst gegen Mittag aufbrechen würden.
Nicholas und sein Vater parkten in einer Nebenstraße und stiegen in den Shuttlebus, der zum Stadioneingang fuhr. Als der Bus nach links abbog, berührte Nicholas’ Schulter den Arm seines Vaters. Sein Vater roch schwach nach Waschmittel und Ammoniak – Gerüche, die Nicholas mit dem Krankenhaus assoziierte, so wie er die verschiedenen Entwicklerchemikalien mit seiner Mutter in Verbindung brachte. Er betrachtete die hohe Stirn seines Vaters, das feine graue Haar
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