Und dennoch ist es Liebe
Anata Falla zuhören, während sie Nadeln in den Rocksaum steckten und das Bustier des Kleides zurechtrückten, das schon letztes Jahr die Maikönigin getragen hatte. Während ich durch die Fenster die Sonne untergehen sah, fragte ich mich, ob Priscilla wohl schon eine neue Freundin gefunden hatte.
Doch Priscilla nahm es mir nicht übel, dass ich zur Maikönigin gewählt worden war. Am nächsten Tag schwänzte sie ihren Mathekurs und wartete vor meiner Englischklasse, bis ich sie winken und lächeln sah. Ich bat die Lehrerin, auf Toilette gehen zu dürfen, und traf mich mit Priscilla im Flur. »Paige«, sagte sie, »was hältst du davon, plötzlich furchtbar krank zu werden?«
So planten wir in aller Sorgfalt, wie ich mich vor den Übungen zur Prozession an diesem Trag drücken könnte: Ich würde mit einem Zittern beim Mittag beginnen und dann schwere Unterleibskrämpfe bekommen. Dann würde ich Schwester Felicite sagen, es sei nun mal diese Zeit im Monat – ein Umstand, für den die Schwestern immer auffällig viel Verständnis gezeigt hatten. Und schließlich würde ich mich hinter der Tribüne mit Priscilla treffen, und gemeinsam würden wir mit dem Bus in die Stadt fahren. Priscilla sagte, es gebe da etwas, was sie mir zeigen wolle, eine Überraschung.
Es war fast vier Uhr, als wir schließlich den alten Parkplatz erreichten. Er war von einem alten Maschendrahtzaun umgeben, und an einer Wand hatte jemand zwei Körbe angebracht, sodass man dort Basketball spielen konnte. Auf diesen improvisierten Basketballplätzen lief immer ein Haufen schwitzender Männer in allen Hautfarben herum, die sich einen verdreckten Ball zuwarfen. Ihre Muskeln waren fest und gespannt. Sie stöhnten, schnappten nach Luft und pfiffen, und sie hüteten die Luft in ihren Lungen wie Gold. Natürlich hatte ich auch früher schon Basketballspiele gesehen, aber nicht so. Das hier war irgendwie urwüchsig. Die Männer spielten wild und mit ganzem Herzen, als ginge es um ihre Seelen.
»Schau ihn dir an, Paige«, flüsterte Priscilla. Sie krallte sich so fest in den Maschendrahtzaun, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. »Er ist so wunderschön!« Sie deutete auf einen der Männer. Er war groß und schlank, und er sprang mit der Eleganz eines Pumas. Seine Hände schienen den ganzen Ball umfassen zu können. Und er war schwarz.
»Priscilla«, sagte ich, »deine Mutter wird dich umbringen.«
Priscilla schaute mich noch nicht einmal an. »Nur wenn irgend so eine frömmelnde Maikönigin mich verpetzt«, erwiderte sie.
Das Spiel war vorbei, und Priscilla rief den Mann zu sich. Sein Name war Calvin. Er nahm ihre Finger, die sie durch den Zaun geschoben hatte, und küsste sie durch eine Masche. Er war nicht so alt, wie ich ursprünglich gedacht hatte – achtzehn vielleicht –, und er ging auf eine öffentliche Highschool. Er lächelte mich an. »Und? Gehen wir jetzt aus, oder was?«, fragte er. Er sprach so schnell, dass ich unwillkürlich blinzeln musste.
Priscilla drehte sich zu mir um. »Calvin will ein Doppeldate«, sagte sie. Ich starrte sie an, als wäre sie verrückt. Wir gingen in die achte Klasse. Wir konnten nicht mit irgendwelchen Jungs wegfahren. Wir hatten an den Wochenenden Ausgehverbot. »Nur zum Abendessen«, sagte Priscilla, die meine Gedanken gelesen hatte. »Montagabend.«
»Montagabend?«, wiederholte ich ungläubig. »Montagabend ist die …« Priscilla trat mir vors Schienbein, bevor ich die Parade zu Ehren der Heiligen Jungfrau erwähnen konnte.
»Paige hat bis ungefähr um acht zu tun«, sagte sie zu Calvin. »Aber dann können wir weg.« Sie küsste Calvin erneut durch den Zaun, hart, sodass der Draht rote Abdrücke in ihrem Gesicht hinterließ, wie Narben.
*
Am Montagabend war ich die Maikönigin, und mein Vater und die Nachbarn schauten zu. Ich trug ein Brautkleid aus weißer Spitze und einen weißen Schleier, und ich trug ein Bouquet aus weißen Seidenrosen. Vor mir zog ein Strom von katholischen Schulkindern über die Straße, gefolgt von meinem Hofstaat, alle in ihren besten Kleidern. Ich lief ganz zum Schluss, die Ikone, das Sinnbild der Heiligen Jungfrau Maria.
Mein Vater war so stolz auf mich, dass er zwei ganze Filme mit je sechsunddreißig Bildern vollknipste. Deshalb stellte er auch keine Fragen, als ich ihm sagte, dass ich nach dem Gottesdienst mit Priscillas Familie feiern und anschließend bei ihr übernachten wolle. Priscilla wiederum hatte ihrer Mutter gesagt, dass sie bei mir schlafen würde.
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