Und dennoch ist es Liebe
machte Nicholas wütend. Er schaute seiner Mutter, die ihm beigebracht hatte, dass Prescotts nicht weinen, ins Gesicht. Sie hatte das Kinn gehoben und kämpfte mit den Tränen, die in ihren Augen schimmerten.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Nicholas und ging hungrig ins Bett. Zitternd vergrub er sich unter den kalten Decken. Stunden später hörte er das ferne Knurren und Murren, von dem er wusste, dass es von einem Streit herrührte. Diesmal ging es um ihn. Nicholas wollte nicht mehr wie sein Vater sein, nie mehr, doch er hatte auch Angst, ohne ihn aufzuwachsen. Da schwor er sich, nie wieder jemanden so nahe an sich herankommen zu lassen. Er wollte sich nie mehr so fühlen wie jetzt. Es war, als würde er zu einer Entscheidung gezwungen, als würde sein Herz entzweigerissen. Nicholas starrte aus dem Fenster und sah den weißen Mond, doch dessen Gesicht war das der Baseball-Lady, die Wangen glatt und weiß und das Ohr leicht gerötet von den Lippen seines Vaters.
*
»Aufwachen«, flüsterte einer der Assistenzärzte Nicholas ins Ohr. »Sie müssen ein Herz einsetzen.«
Nicholas sprang auf und stieß sich den Kopf am niedrigen Dach des Helikopters. Dann griff er nach der Kühlbox. Er vertrieb das Bild seines Vaters aus seinen Gedanken und wartete darauf, dass die Energiereserve, die jeder Chirurg besaß, seine Glieder wieder beseelte.
Fogerty wartete schon im Operationssaal. Als Nicholas steril und in OP-Kleidung durch die Doppeltür kam, öffnete Fogerty Alamontos Brust. Nicholas lauschte dem Surren der Säge, die durch den Knochen schnitt, während er das Herz vorbereitete. Schließlich drehte er sich zu dem Patienten um, und in diesem Augenblick hielt er inne.
Nicholas hatte in seinen sieben Jahren als Assistenzarzt schon genug Operationen miterlebt, um die Prozedur auswendig zu kennen. Schneiden, Sägen, Aufbrechen, Abklemmen … All das war zur zweiten Natur für ihn geworden. Doch Nicholas war an Patienten mit vom Alter fleckiger Haut gewöhnt. Unter der orangefarbenen, antiseptischen Paste war Paul Alamontos Brust jedoch glatt, fest und straff. »Irgendwie unnatürlich«, murmelte Nicholas.
Fogertys Blick huschte zu ihm. »Haben Sie was gesagt, Dr. Prescott?«
Nicholas schluckte und schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete er. »Nichts.« Er klemmte eine Arterie ab und folgte Fogertys Anweisungen.
Als das Herz vom Rest des Körpers getrennt worden war, nahm Fogerty es heraus und nickte Nicholas zu, der daraufhin das Herz der Zweiunddreißigjährigen in Paul Alamontos Brust legte. Laut Gewebeanalyse passte es hervorragend, annähernd perfekt. Jetzt musste man nur noch abwarten, was Paul Alamontos Körper damit machen würde. Nicholas fühlte, wie der noch kalte Muskel ihm aus den Fingern rutschte. Er tupfte die Wundstellen ab, während Fogerty das neue Herz dort festmachte, wo vorhin noch das alte gewesen war.
Nicholas hielt den Atem an, als Fogerty das neue Herz in die Hand nahm und knetete, um es zum Schlagen zu zwingen. Und als es so weit war, blinzelte Nicholas im Takt des Herzschlages. Er schaute über den Patienten hinweg zu Fogerty, von dem er wusste, dass er unter seiner Maske lächelte. »Schließen Sie bitte die Wunde, Dr. Prescott«, sagte Fogerty und verließ den Operationssaal.
Nicholas umwickelte die Rippen mit Draht und nähte die Brust mit kleinen Stichen. Kurz dachte er an Paige, die ihn immer lose Knöpfe annähen ließ. Er sei besser darin, sagte sie dann. Nicholas atmete langsam aus und dankte den Assistenten sowie den OP-Schwestern.
Als er in den Waschraum kam und sich die Handschuhe auszog, stand Fogerty mit dem Rücken an der gegenüberliegenden Wand. Er drehte sich nicht um, als Nicholas sich die Papiermütze abnahm und den Wasserhahn aufdrehte. »Sie haben recht, was Fälle wie diesen betrifft, Nicholas«, sagte Fogerty leise. »Wir spielen hier wirklich Gott.« Er warf ein Papierhandtuch in den Mülleimer und schaute Nicholas noch immer nicht an. »Aber wie auch immer … Gerade bei den Jungen müssen wir zurechtbiegen, was Gott versemmelt hat.«
Nicholas wollte Alistair Fogerty viele Dinge fragen: Woher er gewusst hatte, was Nicholas dachte? Warum er eine bestimmte Arterie nähte, wenn es doch einfacher gewesen wäre, sie zu kauterisieren? Und warum er nach all den Jahren noch immer an Gott glaubte? Doch Fogerty drehte sich plötzlich zu ihm um, und seine Augen waren scharf, blau, und sie schimmerten wie Kristall. »Dann also um sieben Uhr? Bei Ihnen?«
Nicholas
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