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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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anderen wieder zur Tür hinausscheuchte. »Ladys«, sagte sie, »wir haben hier eine Praxis zu führen.« Sie trug Max zu einem leeren Stuhl, umgeben von mehreren hochschwangeren Frauen. »Dr. Thayer kommt etwas später«, sagte sie zu mir. »Und? Was gibt es Neues?«
    Dann klingelte das Telefon, und Mary lief zu ihrem Schreibtisch. Ich schaute ihr hinterher. Am liebsten wäre ich ihr nachgelaufen und hätte sie beiseitegestoßen, um in der obersten Schublade nach Büroklammern und Rechnungen zu kramen und mich mit einem nüchternen ›Praxis Dr. Thayer‹ am Telefon zu melden. Schon vor Max’ Geburt hatten Nicholas und ich beschlossen, dass ich daheim bei ihm bleiben sollte. Von Kunsthochschule war nun keine Rede mehr, da wir uns nicht die Studiengebühren und eine Tagesmutter leisten konnten. Und was die Frage betraf, ob ich weiter arbeiten gehen sollte: Nun, mein Gehalt im Mercy und in Dr. Thayers Praxis zusammen hätte gerade einmal für eine Tagesmutter gereicht. Es rechnete sich also nicht. Außerdem willst du doch sicher nicht, dass eine Fremde sich um ihn kümmert, oder? , hatte Nicholas gesagt. Und ich nehme an, da musste ich ihm zustimmen. Ein Jahr , hatte er gesagt und gelächelt. Geben wir der ganzen Sache ein Jahr. Dann werden wir sehen. Und ich hatte sein Lächeln erwidert und meinen immer dicker werdenden Bauch gestreichelt. Ein Jahr. Was war schon ein Jahr?
    Ich beugte mich vor und öffnete den Reißverschluss an Max’ Jacke sowie die obersten Knöpfe des Kapuzensweaters darunter. Er schwitzte. Ich hätte ihm gerne beides ausgezogen, doch das hätte ihn mit Sicherheit geweckt, und das wollte ich auf keinen Fall. Eine der Schwangeren lächelte mich an. Sie hatte gesundes, dickes brünettes Haar, das ihr in Wellen über die Schultern fiel. Sie trug ein ärmelloses Umstandskleid und Espadrilles. Und sie schaute auf Max hinunter und strich sich instinktiv über den Bauch.
    Als ich mich umschaute, sah ich, dass die meisten anderen Frauen hier meinem Baby beim Schlafen zuschauten. Und sie hatten alle den gleichen Gesichtsausdruck: irgendwie verträumt und mit einer Sanftheit im Blick, die ich in meinen Augen nie gesehen hatte. »Wie alt ist er?«, erkundigte sich die erste Frau.
    »Sechs Wochen«, antwortete ich und schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. Alle anderen drehten sich beim Klang meiner Stimme um. Sie warteten darauf, dass ich ihnen etwas erzählte – irgendwas –, eine Geschichte, die ihnen vermittelte, das Warten würde sich lohnen, dass die Wehen gar nicht so schrecklich wären und dass ich nie in meinem Leben glücklicher gewesen sei. »Es ist nicht so, wie Sie denken«, hörte ich mich selbst mit belegter Stimme sagen. »Seit seiner Geburt habe ich nicht mehr geschlafen. Ich bin ständig müde. Und ich weiß nicht, was ich mit ihm tun soll.«
    »Aber er ist doch so süß«, bemerkte eine andere Frau.
    Ich starrte sie an, ihren Bauch und das Baby darin. »Wenn Sie das wirklich glauben, dann können Sie sich glücklich schätzen«, sagte ich.
    Wenige Minuten später rief Mary mich auf. Ich wurde in ein kleines weißes Untersuchungszimmer gebracht, in dem die schematische Darstellung einer Gebärmutter an der Wand hing. Ich zog mich aus und den Papierkittel an, dann öffnete ich die Schublade des kleinen Eichentisches. Darin befanden sich ein Maßband und ein Stethoskop. Ich strich über die Geräte und schaute kurz zu dem noch immer schlafenden Max. Ich erinnerte mich noch daran, wie ich während der Schwangerschaftsuntersuchungen auf dem Stuhl gelegen und mir die verstärkten Herztöne meines Kindes angehört hatte. Damals hatte ich mich gefragt, wie er wohl aussehen würde.
    Dr. Thayer betrat mit einem Stapel Papier in der Hand den Raum. »Paige!«, rief sie, als wäre sie überrascht, mich hier zu sehen. »Wie fühlen Sie sich?«
    Sie winkte mich zu einem Hocker, auf den ich mich setzen und mich mit ihr unterhalten konnte, bevor ich auf den Untersuchungsstuhl klettern und die demütigende Untersuchung über mich ergehen lassen musste. »Es geht mir gut«, antwortete ich.
    Dr. Thayer klappte meine Krankenakte auf und machte sich ein paar Notizen. »Keine Schmerzen? Und keine Probleme mit dem Stillen?«
    »Nein«, antwortete ich. »Keine Probleme.«
    Sie drehte sich zu Max um, der in seinem Tragesitz schlief wie ein Engel. »Er ist wunderbar«, bemerkte Dr. Thayer und lächelte mir zu.
    Ich starrte meinen Sohn an. »Ja«, sagte ich und spürte wieder dieses Würgen im Hals. »Das

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