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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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hatte.
    Max’ winziger Mund machte bereits Saugbewegungen, als ich an seine Wiege kam. Ich hob ihn heraus und öffnete den BH vorne. Ich wusste nicht mehr, ob er zuletzt links oder rechts getrunken hatte, denn ich musste ihn so oft stillen, dass irgendwie alles miteinander verschmolz. Kaum hatte ich mich auf den Schaukelstuhl gesetzt, da begann Max auch schon zu saugen. Es waren lange, tiefe Züge, die ein Zittern durch meinen ganzen Leib jagten. Ich zählte zehn Minuten auf meiner Uhr ab, dann wechselte ich die Brust.
    Wegen des bevorstehenden Abenteuers hatte ich es an diesem Morgen ein wenig eilig. Heute würde ich zum ersten Mal mit Max hinausgehen, nur wir zwei. Nun ja, genau genommen hatte ich das schon einmal gemacht. Ich hatte die Wickeltasche gepackt und es irgendwie geschafft, den Kindersitz korrekt festzumachen. Doch kaum hatten wir die erste Straßenecke erreicht, begann er so laut zu schreien, dass ich beschlossen hatte, umzukehren und Nicholas zu bitten, zur Bank zu gehen. So war ich zwei Wochen lang eine Gefangene in meinem eigenen Haus gewesen, die Sklavin eines winzigen Tyrannen, der ohne mich nicht leben konnte.
    Sechs Wochen lang hatte ich nur geschlafen, wenn Max es mir erlaubt hatte. Ich hatte ihn gewickelt und trockengelegt, wann immer er danach verlangt hatte, und ich hatte ihn von mir trinken lassen. Ich schenkte ihm so viel von meiner Zeit, dass ich betete, er möge mir wenigstens einmal zehn bis fünfzehn Minuten für mich selber lassen. Doch wenn er dann tatsächlich einmal ein wenig länger schlief, saß ich nur auf der Couch, atmete tief durch und versuchte, mich daran zu erinnern, wie ich früher meinen Tag verbracht hatte. Ich fragte mich, wie das alles so schnell hatte geschehen können: Vor noch gar nicht allzu langer Zeit hatte Max in mir gelebt, er hatte dank meines Blutes überlebt, meines Körpers. Und jetzt? Jetzt hatte sich das umgekehrt, und ich war ein Teil von ihm geworden.
    Ich legte Max im Laufstall auf den Rücken und schaute zu, wie er an einem Zipfel seiner Decke nuckelte.
    Gestern war eine Frau von der La Leche Liga vorbeigekommen. Das Krankenhaus hatte sie zwecks einer Nachsorgevisite vorbeigeschickt. Widerwillig hatte ich sie hereingelassen und Spielsachen und alte Zeitschriften unter die Möbel getreten, als ich vorausgegangen war. Ich fragte mich, ob die Frau wohl etwas zu dem Staub auf dem Kaminsims bemerken würde, den überquellenden Mülleimern oder der Tatsache, dass wir an den Steckdosen noch keine Kindersicherungen hatten.
    Sie machte jedoch überhaupt keine Bemerkung zum Haus, sondern hielt direkt auf Max’ Laufstall zu. »Er ist wunderschön«, sagte sie und gurrte Max etwas vor. Ich fragte mich, ob sie das wohl über alle Babys sagte, die sie sah. Ich hatte selbst auch einmal geglaubt, alle Babys seien niedlich, aber das stimmte nicht. Auf der Säuglingsstation des Krankenhauses war Max ohne Frage das bei Weitem hübscheste Kind gewesen. Er hatte ebenholzfarbenes feines, welliges Haar und kühle, fordernde Augen. Er ähnelte Nicholas so sehr, dass ich ihn manchmal einfach nur staunend anstarrte.
    »Ich wollte nur nachsehen, wie es so mit dem Stillen läuft«, sagte die Frau. »Sie stillen doch noch, oder?«
    »Ja«, antwortete ich ihr. »Es läuft alles prima.« Ich zögerte und erzählte ihr dann, dass ich darüber nachdachte, Max einmal am Tag eine Flasche Muttermilchersatz zu geben – nur eine –, damit ich mal etwas erledigen oder mit ihm spazieren gehen könne, ohne mir Gedanken zu machen, ihm in aller Öffentlichkeit die Brust geben zu müssen.
    Die Frau war entsetzt. »Das wollen Sie doch sicher nicht«, sagte sie. »Jedenfalls noch nicht. Er ist doch erst sechs Wochen alt, oder? Er hat sich noch nicht richtig an die Brust gewöhnt, und wenn sie ihm die Flasche geben … Nun, wer weiß, was dann passieren würde?«
    Ich erwiderte nichts darauf, sondern dachte: Ja, wer weiß, was dann passieren würde? Vielleicht würde Max sich so ja selbst abstillen. Vielleicht würde dann ja keine Milch mehr in meine Brust schießen, und ich würde wieder in meine Kleider passen und die zwölf Pfund verlieren, die ich noch immer auf den Hüften hatte. Ich verstand auch nicht, warum es ein Problem sein sollte, Ersatzprodukte zu nehmen. In den Sechzigern hatten das alle gemacht, und wir hatten uns auch ganz normal entwickelt.
    Ich bot der Frau Tee an und hoffte, sie würde das nicht annehmen, denn ich hatte gar keinen. »Ich muss leider gehen«, sagte sie dann

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