und der Herr der Loewen
niemandem mehr trauen.«
»Aber um welche Art von Gerüchten geht es denn?« erkundigte sich Mrs. Pollifax.
»Ich weiß es nicht«, rief Kadi Tränen schluckend. »Er sagte: ›Aber da ist noch viel mehr, Kadi, viel mehr...‹. Und dann wurden wir unterbrochen. Ich muß zurück nach Ubangiba und ihm helfen. Das versteht ihr doch, oder?«
Mrs. Pollifax verstand Kadis Gefühle, keineswegs jedoch die Sache mit den Gerüchten, und es wurde offensichtlich, daß Kadi viel zu aufgewühlt war, sich klar auszudrücken. »Kadi«, sagte sie, »ich höre dich und rate dir zu zweierlei: Geh erst mal zu Bett und sieh zu, daß du schlafen kannst. Und dann ruf Sammat am Morgen an und sieh, daß er dir genau erklärt, was er mit diesen Gerüchten meint und mit diesen Worten, ›Da ist noch viel mehr, viel mehr‹, die er gesagt hat, bevor ihr unterbrochen wurdet.«
»Vielleicht wurden wir ja gar nicht wirklich unterbrochen«, meinte Kadi besorgt, vielleicht hat jemand mitgehört. Sammys Worte machen mir wirklich Angst!«
»Um so mehr Grund, bis zum Morgen zu warten«, riet Mrs. Pollifax weise. »Um acht Uhr früh wird es in Ubangiba sechzehn Uhr sein.« Oder so ungefähr, dachte sie, während sie die Zeitzonen rasch im Kopf durchging. Als ihr bewußt wurde, daß schon Freitag war, fügte sie hinzu: »Ich hole dich vom 18-Uhr-Zug ab, wie üblich, dann unterhalten wir uns.«
Gleich nachdem sie auflegte, hatte Cyrus zum ersten Mal gesagt: »Kadi darf nicht allein dorthin reisen. Auf gar keinen Fall!«
Mrs. Pollifax blickte auf ihre Armbanduhr. »Kadis Zug kommt in zehn Minuten an, Cyrus, ich muß jetzt los.« Er nickte.
»Und während du Kadi abholst, werde ich Mrs. Lupacik anrufen und sie fragen, ob sie auf eine Woche hierherziehen kann.«
»Oh, Cyrus...«
»Ja, Liebes, aber wir sind schließlich Kadis Ersatzeltern geworden und ich glaube, ihre leiblichen Eltern würden das so wollen und wären froh darüber.« Auf der Fahrt zum Bahnhof gestand sich Mrs. Pollifax ein, daß sie es normalerweise genießen würde, Kadi nach Afrika zu begleiten, aber daß Cyrus leider recht hatte: Sie war sehr geschwächt und noch rekonvaleszent von der schweren Grippe. Ich fühle mich sogar blaß, dachte sie trüb. Sie hatte es als sehr unfair empfunden, daß sie, obwohl sie sich im Herbst brav gegen Grippe hatte impfen lassen, doch von einem anderen Erreger erwischt worden war.
»Wahrscheinlich das nächstjährige Virus«, hatte ihr Arzt trocken gesagt, »anders kann ich es mir nicht erklären.« Jetzt wurde ihr bewußt, wie anstrengend die Re ise für sie werden würde, entschiede sie sich dazu. Die zwei langen Flüge von New York nach Paris und von dort nach Ubangiba! Andererseits war ihr auch klar, daß sie es sich nie verzeihen könnte, würde Kadi etwas zustoßen. Und gleichzeitig stellte sie sich vor, wie warm und sonnig es jetzt in Ubangiba sein mußte... Nach dem trüben und schwierigen Januar und Cyrus' Sturz auf dem Eis könnte eine Woche in der Sonne eine gute Therapie sein. Kadi wartete bereits auf dem Bahnhof, als Mrs. Pollifax ankam und fand, daß die Kleine mit jedem Wochenende ein bißchen weniger verloren aussah. Es war zwar zweifelhaft, ob sie sich je für modische Kleidung interessieren würde, das einzig Wichtige für sie waren ihre Schnitzereien und ihre Bilder, aber heute sah sie in ihren schwarzen Strümpfen, den schwarzen Schuhen und dem beigefarbenen Trenchcoat erstaunlich schick aus.
Allerdings registrierte Mrs. Pollifax auch die verwischte rote Farbe an einem Mantelärmel und die aufgerissene Naht des Aufschlags am anderen und war amüsiert. Kadi war zierlich, mit unscheinbarem aber feingeschnittenem Gesicht, von dem nur die überdurchschnittlich großen grünen Augen mit den dichten Wimpern auffielen. Ihr brünettes Haar war in Schulterlänge immer noch unfachmännisch geschnitten. Doch der Eifer, den sie ausstrahlte, war unübersehbar. Sie war anders als andere Mädchen ihres Alters, und gerade das machte sie so liebenswert.
Dieses Kind hat in seinen neunzehn Jahren mehr als genug Schreckliches erlebt, dachte Mrs.
Pollifax. Natürlich muß ich sie begleiten! »Wie war's in der Schule?« erkundigte sie sich, als Kadi auf den Beifahrersitz rutschte.
»Alles in Ordnung - bis Sammy nachts anrief. Wie geht es Cyrus?«
»Er langweilt sich.« Mrs. Pollifax manövrierte den Wagen aus dem Abstellplatz und fuhr Richt ung Maple Lane. »Ihm hängt Lesen zum Hals heraus und mit den Seifenopern im Fernsehen geht es ihm kaum
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