Und der Herr sei ihnen gnädig
den Mund. Decker wusste, dass sie ihm zumindest mit einem Ohr zuhörte.
»Wenn er nicht zurückgeschossen hätte, wäre dir einiges erspart geblieben«, wiederholte er. »Mir ist klar, dass du dir vor Ungeduld fast die Zunge abbeißt, aber unterbrich mich jetzt bitte nicht.«
»Ich unterbreche dich doch gar nicht! Rede weiter!«
»Wenn er nicht mit deiner Waffe geschossen hätte, dann hätten sie dich jetzt nicht vom Dienst suspendiert. Sie hätten dich bloß für einen Tag nach Hause geschickt, hätten ein paar Erkundigungen eingezogen, und das wär's gewesen. In dem anderen Wagen hätte niemand Schaden erleiden können, und es wäre mit Sicherheit zu keinem Prozess gekommen... was jetzt natürlich durchaus der Fall sein kann. Falls jemand verletzt worden ist, werden eine Menge Fragen gestellt werden, und rate mal, wessen Hintern dann in Gefahr ist?«
Cindy stieß die Worte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: »Er hat genau das Richtige getan!«
»Deswegen brauchst du nicht so in Rage geraten! Warum musste er unbedingt schießen?«
»Weil wir angegriffen wurden.«
»Hättet ihr ihnen nicht entwischen können?«
»Nein, Dad, ich war nicht schnell genug. Das war ja gerade das Problem]«
»Hättest du dasselbe getan, wenn die Rollen andersherum verteilt gewesen wären? Hättest du auch auf den Nova geschossen?« »Ja.« Sie nickte. »Ja, ich glaube, ich hätte -« »Du glaubst?«
»Ich hätte bestimmt auf ihn geschossen. Zufrieden?«
»Ich hoffe, du meinst das auch so und hast wirklich das Gefühl, dass es richtig war. Er hat dir damit nämlich eine Menge Ärger eingehandelt -«
»Er hat es genau richtig gemacht!« Als sie sich zu ihm umdrehte, war ihr Gesicht rot vor Zorn. »Weißt du, vielleicht nehme ich mir doch lieber ein Taxi -«
»Hör auf-«
»Ich habe mich gerade vier Stunden mit diesen zwei Irren herumgeschlagen und bin jetzt wirklich nicht in der Stimmung für diesen Schwachsinn, okay?«
Decker nahm sie am Arm. »Möchtest du meine Meinung hören?«
»Nein, ehrlich gesagt, nicht, aber ich fürchte, ich werde nicht darum herumkommen.« »Ich weiß, dass Koby das absolut Richtige getan hat. Und ich weiß auch, warum.« Er fixierte seine Tochter. »Die Frage ist nur... weißt du es auch?«
Cindy funkelte ihn wütend an. Erst jetzt bemerkte Decker, dass sie Tränen in den Augen hatte. Sie wischte sie weg und sagte: »Ich bin im Moment wirklich zu müde für blöde Tests. Sag endlich, worauf du hinauswillst.«
Decker zuckte mit den Achseln.
»Wenn er nicht zurückgeschossen, nicht reagiert hätte, dann hätte kein Mensch - wirklich kein Mensch - mehr mit dir zusammenarbeiten wollen. Sie hätten einen Blick auf seinen durchlöcherten Wagen geworfen und sich dann alle gedacht: Was zum Teufel hat sie in dieser Situation getan? Hat sie sich geduckt, während er versuchte, den Kugeln auszuweichen? Was, wenn das hinter dem Steuer mein Arsch gewesen wäre? Niemand möchte einen Partner, der im Ernstfall zur Salzsäule erstarrt.«
Cindy öffnete den Mund, machte ihn aber gleich wieder zu.
»Er kannte die wichtigste Regel, Cindy«, fuhr Decker fort. »Sie besagt, dass es besser ist, überzureagieren und am Leben zu bleiben, als zu lange nachzudenken und zu sterben. Und weißt du, woher er diese Regel kannte?«
Ohne ihn anzusehen, wartete sie darauf, dass er weitersprechen würde.
»Weil er sich für jenen kurzen Moment in die Zeit zurückversetzt fühlte, als er von der PLO beschossen wurde oder von der Hamas oder Hisbollah oder wie die Terroristenorganisationen dort bei ihnen alle heißen. Dein Freund weiß, wie man überlebt - er hat etwas von der Mentalität, die sagt: entweder ich oder du, Kumpel.
Hast du auch etwas von dieser Mentalität, Cindy?«
Sie versuchte, ihrem Vater in die Augen zu sehen, schaffte es aber nicht so ganz. »Wahrscheinlich nicht in demselben Maß wie ihr beide. Aber ich glaube, dass ich nach meinen Erfahrungen im letzten Jahr durchaus bewiesen habe, dass ich eine gute Kämpferin bin.«
»Cynthia, daran zweifelt niemand. Das Leben hat dir ein paar böse Überraschungen beschert, und du kommst mit den Folgen weitaus besser klar als ich. Aber zugleich bist du auch ein sehr liebes Mädchen. Mitgefühl ist nicht immer die richtige Antwort.«
»Du hältst mich für weltfremd.«
»Du bist weltfremd.«
»Wie kannst du das sagen - nach allem, was mir passiert ist?«
»Du hast Recht, die meisten anderen hätten das wahrscheinlich nicht überlebt. Ich bin so
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