Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und der Herr sei ihnen gnädig

Und der Herr sei ihnen gnädig

Titel: Und der Herr sei ihnen gnädig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
Vom Netzwerk:
Ich war todunglücklich. Deswegen zogen wir zurück nach Hamburg, wo er todunglücklich war. Schließlich einigten wir uns auf einen Kompromiss. Hamburg ist nicht so weit von Dänemark entfernt. Wir zogen also nach Kopenhagen, wo wir beide unglücklich waren.
    Trotzdem blieben wir dreißig Jahre in Dänemark. Ich brachte zwei Söhne zur Welt, die irgendwann nach Amerika gingen. Mit sechsundfünfzig ließ ich mich von Cyril scheiden, nahm den Namen Lubke wieder an und ging ebenfalls nach Amerika. Nach Saint Louis, weil Martha dort lebte.«
    »Wie kam Martha nach Saint Louis?«
    »Ihr Mann arbeitete für Anheuser-Busch. Martha liebte Saint Louis. Ich mochte es nicht. Im Sommer ist es dort sengend heiß und im Winter bitterkalt. Schnee ist ja recht schön, aber es gibt dort keine Berge, abgesehen von den Ozarks... die man kaum als richtige Berge bezeichnen kann. Vor zehn Jahren besuchte ich jemanden in Solvang. Nachdem ich so lange in Kopenhagen gelebt hatte, fühlte ich mich dort auf Anhieb sehr wohl. Mir gefiel das kühlere Klima, und ich mag richtige Berge. Hier habe ich ein Zuhause gefunden. Zweimal im Jahr besuche ich Martha, und zweimal kommt sie zu mir. Natürlich bin ich bei dieser Lösung die Angeschmierte.«
    Rina musste lachen. »Ja, das glaube ich auch.«
    »Möchten Sie noch Tee?«
    »Gerne«, antwortete Rina.
    Anika verschwand mit der Teekanne in die Küche. »Was für ein Original!«, rief Rina aus.
    »Sie ist wirklich eine Persönlichkeit«, pflichtete Decker ihr bei.
    Ein paar Minuten später kam sie mit einer frischen Kanne Tee zurück. »Ah, dieses Aroma... das Einzige, was die Engländer richtig gut können, ist Tee machen.« Sie schenkte ihnen ein. »Ich versuche, mich zu erinnern, Mrs. Decker. An die Morde. Das war eine ganz eigenartige Zeit.«
    »Inwiefern?«, erkundigte sich Rina.
    »Ganz Deutschland brach in sich zusammen. München bildete da keine Ausnahme. In der Stadt herrschte ein schreckliches Chaos, und die Morde verstärkten es noch. In
    München waren viele militärische Kräfte präsent, überall sah man Uniformen, Regimenter und Paraden. Es war der Geburtsort der Nazis, aber sie waren keineswegs die einzige politische Partei. Es gab viele, und jede Gruppe besaß ihre eigene Fahne, ihre eigene Identität. Die Parteien hatten sogar eigene Farben. Die Nazis trugen Braun, die Sozialdemokraten Grün, die Kommunisten rote oder schwarze Hemden mit roten Fliegen. Außerdem gab es noch die Royalisten. Die bayerischen Monarchen waren 1918 von den Kommunisten vertrieben worden, aber viele ihrer Verwandten waren geblieben und trugen bei jeder sich bietenden Gelegenheit die alte königliche Uniform. Am Königsplatz fanden ständig irgendwelche Demonstrationen statt... eigentlich auf allen öffentlichen Plätzen. Ich ging in die Türkenschule -«
    »Wie meine Mutter«, warf Rina ein.
    »Ja, wie Ihre Mutter. Nebenan war der Sitz der Nazi-Zeitung Völkischer Beobachter. Wir sahen die Braunhemden im Stechschritt ein und aus gehen. Ein paarmal erschien sogar Hitler persönlich. Das gehörte alles zur Show. Wenn ich jetzt als Erwachsene so zurückdenke, glaube ich, dass ich damals große Angst hatte, weil diese Gruppen zu uns in die Schule kamen und mit uns redeten. Sie fragten uns nach unseren Eltern aus - was sie taten, wen sie kannten, welche Zeitungen sie lasen. Die damaligen europäischen Zeitungen waren ganz anders als unsere heutigen amerikanischen. Es handelte sich um politische Blätter, sodass diese Gruppen anhand der Zeitung auf die politische Gesinnung der Eltern schließen konnten. Als dann die Morde passierten, unter anderem der an Ihrer Großmutter, Mrs. Decker, gab es Gerüchte, dass Ihre Omah vielleicht politisch auf der falschen Seite stand.«
    »Glauben Sie auch, dass es ein politischer Mord war?«
    »Nachdem die erste Frau gefunden worden war, sagten alle, ihr Tod müsse politische Gründe haben. Alles in München war politisch. Mehrere andere Morde an jungen Frauen hatten ebenfalls politische Gründe. Ein Fall wurde besonders berühmt: Ein Bauernmädchen namens Amalie Sandmeyer wurde vom so genannten Fememord getötet, einer sehr weit rechts stehenden Gruppe. Vor denen hatten alle Angst.« »Warum wurde diese Frau ermordet?«, wollte Decker wissen. »War sie eine Spionin?« »Im Gegenteil. Sie war eine einfache Arbeiterin und viel zu naiv, um überhaupt zu begreifen, was vor sich ging. Zu der Zeit war es in München verboten, Waffen zu besitzen. Wenn man Waffen aus dem Ersten

Weitere Kostenlose Bücher