Und der Herr sei ihnen gnädig
Kaliforniens ist ein gesegneter Landstrich. Von San Diego bis zur Grenze von Oregon erstreckt sich auf der einen Seite blaues, glitzerndes Meer, während auf der anderen grüne, majestätische Berge emporragen. Decker fuhr von Santa Barbara aus in nördliche Richtung. Das Wetter hätte nicht schöner sein können. Es hatte gut zwanzig Grad, und zwischen duftigen weißen Wölkchen lugte immer wieder die Sonne hervor. Als Decker schließlich nach Osten abbog, tauchte sein Porsche zwischen die Granitwände der hoch aufragenden Felsen ein. Mühelos schlängelte sich der Wagen durch die Canyons. Über den Bergen lag ein feiner Dunst, und die Temperatur sank merklich. »Umwerfend«, flüsterte Rina.
»Hannah ist jetzt schon ein großes Mädchen«, antwortete Decker. »Wir sollten das wirklich öfter machen.«
»Ja, das stimmt.« Rina rückte ihre Baseballkappe zurecht und genoss den Wind und die Sonne auf ihrem Gesicht. »Es ist schön, sich mal wieder jung zu fühlen.«
»Und frei«, fügte Decker hinzu. »Was das betrifft, sind wir immer ein bisschen zu kurz gekommen.«
»Ich weiß. Kaum verheiratet - und schon eine Großfamilie. Du Armer.«
»Nicht ich Armer«, widersprach Decker. »Ich Reicher. Ich würde um keinen Preis der Welt tauschen. Trotzdem braucht man einen gewissen Ausgleich. Es wäre schön, wenn wir kein solches Projekt als Anlass brauchten, um mal für ein Wochenende wegzukommen. Aber nachdem wir mit dieser Reise ja tatsächlich ein bestimmtes Ziel verfolgen, lass uns doch mal unsere weitere Vorgehensweise besprechen.«
»Ich hätte noch ein paar Fragen zu dem Mord, aber falls ich nicht dazu komme, sie zu stellen, habe ich auch kein Problem damit.« Rina atmete tief durch. »Es geht mir inzwischen in erster Linie darum, etwas über die Kindheit meiner Mutter zu erfahren. Der Mord ist mir gar nicht mehr so wichtig. Das war nur der Auslöser.«
»Ich freue mich sehr, das zu hören. Am besten, wir lassen die Damen einfach reden.« Decker sog die nach Kiefernnadeln duftende Luft ein. Eine Minute später hatten sie den Freeway verlassen und fuhren auf der von mächtigen Zedern gesäumten Mission Avenue in Richtung Solvang. Ein paar Kilometer lang erstreckten sich zu beiden Seiten Farmland und Obstgärten. Sie kamen an einer Pflanzung voller kleiner Avocadobäume vorbei, die alle erst um die dreißig Zentimeter hoch waren. Hundert Meter weiter folgte eine Straußenfarm. Von den großen Vögeln war nichts zu sehen, aber nachdem sie unterwegs bereits eine Lama-Ranch passiert hatten, zweifelte Decker nicht daran, dass sich irgendwo in der Nähe flugunfähige Tiere befanden.
Bald hatten sie das grüne Schild erreicht, das die Besucher in Solvang willkommen hieß einem Ort mit 5332. Einwohnern.
Dänisch Disneyland.
Das kleine Touristenstädtchen hatte tatsächlich etwas von einem Freizeitpark an sich, bis hin zu den Straßennamen - Vester, Arhus, Nykebing, Midten -, die alle Hof oder Sted hießen, statt Straße, Avenue oder Lane.
Es war ein Ort wie aus dem Bilderbuch: pittoreske kleine Häuschen mit Sprossenfenstern, Dutzenden von Giebeln und speziellen Dachziegeln, die an Reetdächer erinnerten. Nette kleine Bungalows mit strahlend weiß verputzten Wänden und roten Ziegeleinfassungen, umgeben von schön bepflanzten Blumengärten. Fast alle Gebäude wiesen Verzierungen im Tudorstil auf: Streifen, Dreiecke und Quadrate aus farbig gestrichenen Holzleisten, wobei Hellblau am beliebtesten zu sein schien, auch wenn einige Hausbesitzer sich für Braun, Grün oder Rot entschieden hatten. Es gab viele weiße Palisadenzäune und Balkone mit weiß gestrichenen Holzgeländern. Zwei von den Motels an der Mission Avenue waren mit lebensgroßen Windmühlen ausgestattet, ein weiteres mit einem Glockenturm.
Decker konnte sich nicht entsinnen, jemals so saubere Straßen gesehen zu haben. Man hatte fast den Eindruck, als würden sie täglich gewaschen.
Das Geschäftsviertel erstreckte sich ebenfalls entlang der Mission Avenue und bestand aus Gebäuden, die fast genauso aussahen wie die Wohnhäuser. Die Läden, Restaurants und bacaris gehörten Leuten, die Mortensen, Petersen oder Olsen hießen. Peter und Rina waren sich einig, dass sie noch nie so viele weißhaarige, hellhäutige ältere Leute auf einem Fleck gesehen hatten. Auch als sie an der Schule vorbeikamen, die gegenüber einer protestantischen Kirche lag, wimmelte es von rosigen Gesichtern und Blondschöpfen, abgesehen von einer Gruppe indianisch aussehender
Weitere Kostenlose Bücher