und der Ruf der Karibikwoelfe
als gäbe es kein Wettrennen. Stattdessen kratzt sich das kleine Schaf mit dem linken Hinterbein ausgiebig am rechten Ohr. Rita muss sich ordentlich verrenken, um es zu schaffen. Sie schwankt dabei über dem Abgrund hin und her wie eine Wollfluse im Wind.
Und Ruth muss kräftig niesen. Der Anfall ist so heftig, dass er das kleine Meerschwein weit hinauf in die Luft katapultiert.
»Gesundheit!« Rita schaut der Freundin hinterher und wittert unverhofft eine Chance, als Erste die andere Seite zu erreichen.
»Danke!«, ruft Ruth aus der Höhe.
»Hej-ho! Haha! Ich bin zuerst da!« Schon stakst Rita wieder los, so schnell ihre dünnen Beine es zulassen.
Vergebens.
Ruth landet eine Pfotenbreite vor Ritas Schafsnase auf dem Baumstamm und zischt davon wie ein Mini-Torpedo. Als der Vorsprung groß genug ist, macht sie sogar noch einen eineinhalbfachen Salto mit Schraube. Auf der anderen Seite der Schlucht schaut Ruth sich lässig um. »Ich war schneller als du.«
»Na und?« Rita verbiegt sich noch einmal und kratzt sich ausgiebig mit dem rechten Hinterbein am linken Ohr. »Du hast dich ja auch beeilt.«
»Kaum«, sagt Ruth. »Das war mein Schlenderschritt.«
»Haha«, macht Rita.
»Hoho«, macht Ruth.
»Hej-ho!«, rufen beide und setzen ihren Schlenderschritt fort.
Wenig später gelangen Rita und Ruth an den Fuß eines mächtigen Wasserfalls. Ein paar schnelle Schritte auf Hufen und Pfoten – und die beiden sind hinter dem rauschenden, nassen Vorhang verschwunden. Dort hängt eine Strickleiter zwischen dem herabstürzenden Wasser und den senkrecht aufragenden Felsen.
Rita und Ruth klettern hinauf. Diesmal ist Rita die Erste.
»Schafe können angeblich gar nicht klettern«, sagt Rita. »Wusstest du das?«
»Typischer Grapscher- und Süßfinderspruch!«
»Schafe taugen angeblich auch nicht zum Piraten«, fährt Rita fort. »Ein Pirat muss schließlich Strickleitern hochturnen können, so wie Mistkäfer Schafköttel.«
Ruth nickt fröhlich. »Wahrscheinlich gibt es uns gar nicht!«
Rita klettert noch ein bisschen schneller. »Keine Angst, das ist kein Wettklettern!«, ruft sie nach unten.
»Hej-ho!«, japst Ruth nach oben. »Und wennschon.« Ächzend turnt sie Rita hinterher, so schnell ihre kleinen Pfoten und ihr rundlicher Körper es erlauben.
Die beiden erreichen die Oberkante der Felswand. Neben ihnen stürzt das Wasser brüllend in die Tiefe.
Von hier ist es nur noch eine halbe Stunde Huf- und Pfotenweg, bis der Dschungel lichter wird.
Eine holprige Straße taucht auf und schlängelt sich zwischen den Bäumen hindurch bis zur Küste. Dort leuchtet eine Handvoll farbenfroher Holzhäuser in der Sonne. Sie stehen kreuz und quer wie aus einer Spielzeugkiste gekippt. Nicht zufällig hat das Schild am Ortseingang die Form eines Surfbretts. Die verwitterte Aufschrift lautet: GROOVETOWN . Das Dorf hat mehr Surfbretter als Einwohner.
Ein eigentümliches Geruchsgemisch liegt in der Luft. Es besteht aus gebratenem Fisch, leicht süßlichem Tabakqualm, frischer Ananas und noch einigen Düften mehr. Eine seltsam beschwingte Musik gesellt sich dazu. Sie ist Tag und Nacht in Groovetown zu hören. Die Klänge gleiten ins Ohr wie ein Surfbrett, das von einer eleganten Brise getragen wird. Dieser Sound ist auf der ganzen Welt als Reggae-Musik bekannt.
A-buff-tschicka-buff-tschicka-buff, dringt es fluffig in Ritas und Ruths Ohren. Unwillkürlich fangen die beiden an, im Rhythmus zu wippen. Ohohooh Lohoord! A-buff-tschicka-buff-tschicka-buff.
Die Sonne steht gleißend am Himmel. Auf der staubigen Straße ist niemand zu sehen. Rita und Ruth huschen tänzelnd weiter.
Tagsüber ist in Groovetown Siesta-Zeit. Sie dauert von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Die meisten Bewohner liegen jetzt irgendwo im Schatten. Einige Unermüdliche dümpeln auf ihren Surfbrettern im Wasser herum und warten dösend auf eine perfekte Welle. Der Rest sitzt im Allright und nimmt einen Kokos-Drink. Rita und Ruth brauchen in Groovetown nicht zu befürchten, dass sie zu sehr auffallen. Viele Bewohner sind selbst wunderliche Typen, und wahrscheinlich könnte sie weder der Anblick eines Raubschafs noch der eines Raubmeerschweinchens aus der Ruhe bringen.
Aber man weiß ja nie.
Deshalb verlassen die beiden Helden sich nicht nur auf den Augenschein, sondern huschen meisterhaft unauffällig von Haus zu Haus.
Das Allright ist ihr Ziel.
Wer die Leuchtreklame mit dem Namen der ältesten, schönsten und einzigen Bar von Groovetown zum ersten Mal
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