Und der Wind erzaehlt von Zaertlichkeit
noch das andere war richtig. Ich war ein wenig spazierengegangen, hatte mich verirrt, und meine Familie merkte erst, daß ich fehlte, als sie schon ein gutes Stück weitergeritten war.«
Connor hatte nun doch die Stirn in Falten gelegt. Er stellte sich seine Frau in Grace’ Alter vor und begriff, daß sie fürchterliche Angst gehabt haben mußte.
»Gillian fand mich schließlich vor allen anderen, obwohl man mir sagte, daß ich wie am Spieß gebrüllt haben muß. An diesem Abend führte mein Vater eine neue Tradition ein.«
»Das Medaillon.«
Sie nickte. »Meine älteren Geschwister fanden die Idee ausgesprochen gut und versprachen, ihre Anhänger stets bei sich zu tragen. Meine Mutter machte sich Sorgen, daß der Säugling und ich uns mit dem Lederband strangulieren würden, so daß ich mein Medaillon nur umlegen durfte, wenn wir die Festung verließen.«
Sie hielt seinen Blick einen Moment fest, dann nahm sie seine Hand und drehte sie so, daß die Innenfläche nach oben wies. Ihre Finger strichen zart über die Narben, die seine Hand verunzierten, aber er sah nur Trauer in ihren Augen, kein Mitleid, keinen Abscheu.
»Du mußt große Angst gehabt haben«, sagte er in dem Versuch, sie dazu zu bringen, ihm ins Gesicht zu sehen, statt die Male der Vergangenheit anzustarren. Doch sie hielt seine Hand fest, als er sie zurückziehen wollte.
»Ich hab’s überstanden«, flüsterte sie. »Aber Ihr nicht, nicht wahr, Connor?«
»Weil es noch nicht vorbei ist. Du willst, daß ich dir erkläre, woher die Narben stammen, richtig?«
»Nein.«
Eine seltsame Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung durchströmte ihn.
Brenna empfand den Schmerz, den er erlitten hatte, und hätte ihm gerne deutlich gemacht, daß sie ihn jetzt nicht zu trösten versuchte, sondern einfach die Tatsache anerkannte, daß ihm in der Vergangenheit Schlimmes angetan worden war. Sie wollte ihm einfach zeigen, daß sie ihn verstand.
»Diese Narben erzählen deine Geschichte«, flüsterte sie, während sie langsam seine Hand anhob.
Wieder versuchte er, sich loszumachen, doch wieder ließ sie ihn nicht. »Ja«, sagte er, diesmal verärgert.
Brenna neigte den Kopf und küßte jede einzelne Narbe.
Connor spürte die Liebkosung in seinem Herzen und seiner Seele. Wie vom Donner gerührt, schloß er die Augen. Er war erschüttert und zutiefst bewegt. Eine wohlige Wärme durchströmte ihn, und plötzlich fühlte er sich wie neugeboren. Er hatte keine Ahnung, wie es hatte geschehen können, aber das nagende Gefühl der Leere in seinem Inneren war mit einem Mal fort.
Brenna hob den Kopf und legte ihm das Medaillon in die Hand.
Er schlug die Augen auf und starrte auf das geschnitzte Holz auf seinen Fingern.
»Vor langer, langer Zeit lebte ein Junge namens David«, begann Brenna ernst. »Das Land, in dem er mit seiner Familie wohnte, wurde von einem Riesen namens Goliath terrorisiert. Dann geschah es, daß David gegen seinen Feind kämpfen mußte. Er war zu jung, um mit einem Schwert umgehen zu können. Er hätte das Schwert seines Vaters nehmen können, so wie Ihr es getan habt, doch anders als Ihr mußte er nicht über glimmende Kohlen kriechen. Ihr beide hattet unglaublich viel Mut, und ich denke, auch er hätte seine Freunde in Sicherheit gebracht, denn seine Seele war genauso edel wie die Eure, Connor.«
Connor brachte kein Wort heraus. Sie wußte alles und hielt ihn noch immer für edel und mutig! Doch selbstverständlich konnte sie es nicht wirklich verstehen. Er hatte solch ein Lob noch gar nicht verdient, da es ihm in all den Jahren nicht gelungen war, Gerechtigkeit walten zu lassen.
Er schüttelte den Kopf. Sie nickte. Und dann malte sie eine Gestalt in seine Handfläche, die, wie er wußte, David sein sollte.
»Der Junge hatte nur eine Schleuder als Waffe, und als der Zeitpunkt kam, Goliath gegenüberzutreten, suchte er sich einen Stein.« Sie brach ab, um einen kleinen Kreis zu Davids Füßen zu malen. »Ihr glaubt, daß Eure Kraft im Schwert Eures Vaters liegt, nicht wahr, Connor?«
Er gab keine Antwort. Sie sah ihm einen Moment in die Augen, dann fuhr sie fort: »Aber das ist nicht wahr. Eure Kraft kommt aus Eurem Inneren. Es sind Eure Entschlossenheit, Eure Geduld, Eure Fähigkeiten, aber vor allem Euer Durst nach Gerechtigkeit. David tötete den Riesen und rettete sein Volk. Ihr habt bereits Eure Leute gerettet.«
»Aber der Feind ist noch am Leben.«
»Seht Euch um und erkennt, was Ihr erreicht habt. David verkörpert, was
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