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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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untersuchte die Bruchstelle. Sie war blitzsauber. Ein bißchen grün. Und sogar noch ein wenig feucht.
    »Diese Bahn muß in den letzten Tagen gebrochen worden sein«, dachte ich, warf das Knäuel in die Luft und zerhieb es, noch ehe es den Boden berührte, mit meiner rasiermesserscharfen Sichel in zwei Stücke. Ich war verwirrt und enttäuscht und wütend über meine Dummheit, und hatte das Gefühl, da seien hinterhältige Mächte am Werk, über die ich keine Kontrolle hatte.
    »Da steckt etwas anderes dahinter«, dachte ich, während ich den Pfad nach weiteren Hinweisen absuchte, »irgendein anderes Tier. Eine andere Bestie.« Und dann dämmerte es mir. O ja. »Ein verfluchter Keiler! Ein Spitzrückenschwein! Genau! Ein Sumpfschwein mit verdammt scharfen Hauern!«
    Ich wollte mich schleunigst von diesem Ort entfernen, ehe mein Verstand die Chance hatte, die Wildschweintheorie anzufechten. Und genau da geschah die zweite Sache.
    Der äußere Kreis des Sumpflandes erschien als eine Reihe dunkler gekrümmter Silhouetten, die von gelegentlichen Schreien des Tageslichts verzerrt wurden; und daher mußte ich ihr schon ganz nahe kommen, bis ihre Silhouette sich aus der Umgebung schälte und Gestalt annahm. Das grelle Licht vom Außenrand her warf Schatten, und mir schwindelte, mein Kopf knisterte von ihrem Strahlen. Flankiert von zwei Kampeschenstämmen, grün vom kriechenden Tod, erschien mir der Geist Cosey Mos.
    Unheimliche Insekten schrillten, pfiffen wie von unsichtbaren Schnüren gezogen in kunstvollen Formationen durch die Luft, schossen hierhin und dorthin, vollführten geschlossene Schwenks mit feinen Variationen von Position und Tempo – und flogen, ohne zu landen, mitten durch sie durch. Böse Bienen, unheilvolle Insekten, Beweis dafür, daß der Teufel selbst anwesend war. Daß der Teufel selbst anwesend war. Daß der Teufel selbst anwesend war.
    Sie streckte einen Arm aus und winkte mich heran.
    Ich konnte die Sehnen unter ihrer Haut zischen hören. Ich fühlte Tränen auf meinen Wangen, auf meinem Kinn. Ich schmeckte sie. Ich konnte nicht sagen, von wem sie stammten. Ihre Brüste vibrierten vom Knarren eines rasenden Herzens. Ihre Finger fuhren über eine tickende Ader. Sie legte mich ins Netzwerk freiliegender Wurzeln, zeigte mir, wie glatt es dort war. Sie strich mit ihrem Mund über den klumpigen Haufen meines Rückgrats, flüsterte mit flachem Atem in meine Armbeugen. Sie legte die lackierten Spitzen ihrer Finger an den fühllosen Knorpel meiner Kehle, und ich, ermutigt von den schwachen Schwingungen, die ich dort empfand, machte einen Versuch, etwas zu sagen. Und ich glaube wahrhaftig, es kam ein Wort über meine Lippen, doch in all dem lauten Geschnatter in meinem Schädel ging das Wort für immer verloren. Ein Wort, und der Zauber war gebrochen, der Geist begann zu verblassen. Ihr Körper mischte sich in die verschwimmende Umgebung, und so fest ich sie auch in den Armen hielt, glitt sie mir irgendwie davon, dorthin zurückgerufen, wohin auch ich nun gehe.
    Ich fror und fühlte mich schmutzig und krank da unten in der knöchernen Umklammerung der Baumwurzeln, doch unternahm ich keine Anstrengung, aufzustehen und meine Kleider aufzusammeln, die ich … die sie mir im Taumel vom Leib gerissen hatte und die jetzt überall herumlagen. Ich reckte den Hals, suchte meine Sichel, und fand sie in meiner linken Hand. In meiner rechten – meiner Mörderhand – knisterten die klebrigen Reste von Ektoplasma; ich wischte sie an einem Büschel Pfauengras sauber. Dann nahm ich die Sichel in beide Hände, und starrte in das grünliche Geflecht hinauf – die Girlanden aus Ranken und Schlinggewächsen. Der Baldachin schien ständig in Fluß zu sein, geschwollen und lebendig. Ich fühlte mich wie früher, als ich ein kleiner Junge war, und nackt und voller Scham unter der Bettdecke versteckt Streichhölzer anmachte und … ich packte die Sichel fester, und meine Knöchel glommen weiß und blutleer auf.
    Die Luft wurde dunstig, widerlich. Ich begann unwillkürlich zu zittern, zu beben. Irgend etwas verseuchte mein Inneres – üble Säfte, schweflige Ausflüsse, bittere Säuren, Galle. Mein Atem wurde sauer. Die großen Jahrhunderte alten Kampeschenbäume stöhnten und knarrten. Die tückischen Ranken fauchten und schwankten. Meine Hände juckten, schwitzten unmäßig, und ich spürte, wie es mir über die Handgelenke rann und auf den Bauch tropfte. Dort sammelte es sich, blutrot und warm. In plötzlichem Ekel drehte

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