Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
Vom Netzwerk:
Angst vor ihr. Hab keine Angst vorm Sterben.
     
    Seht! Da oben! Eine Herde rußiger Rauchtiere sammelt sich am Himmel, sie tollen über sein dachloses Rund. Dunkle Rauchschwaden von Hundskopf, sie schwärzen das Blau. Ich wußte, sie würden mein Königreich niederbrennen. Soll es brennen. Brenn, Feuer, brenn. Erleuchte ihren Wahnsinn, auf daß sie die Verrücktheit in ihren Augen erkennen. Ich hab gesehen, wie ihr das Revier der Hurerei zu einer Handvoll Lavendelasche gemacht habt. Und die Kirche – wie hell lodertest du in jener Nacht auf der Ruhmes-Ebene! – befeuert vom Blut einer Mongoloiden, eines Krüppels und eines großen bösen Landstreichers. Und jetzt mein Königreich. Edles Feuer, edler Rauch, edle Asche im Wind. Laßt ihnen nichts übrig.
     
    Wie auch immer, später an diesem Tag – gestern – machten meine Sänger mir die Gedanken, beschickten mich mit dem aufreizenden Singsang ihrer Verse – nimm ein Seil – Strick und Faden – Woll und Wolle – Draht vom Zaun – Kabelrolle – Angelschnüre – zusammenführe – knüpf draus eine – lange Leine – die Zeit wird knapp – die Zeit nimmt ab – Scheißhirn! Idiotisches Gereime … da verliert man glatt den … Scheiße! Mist! Scheiße! Ruhe. Ruhe. Ruhe! Und beklemmt trat ich eine Teekiste um, die in der Ecke stand, und was quoll daraus hervor? Genau das: Seile, Knäuel von Wolle und Schnüren, Bänder und Gürtel und ein paar alte Hosenträger, Lakenstreifen, alte Bandagen, sogar ein Drachenschwanz. Mußte also als sehr wahrscheinlich annehmen, daß ich das Zeug schon eine ganze Weile gesammelt hatte. War alles bereits aneinandergeknotet. Ich wickelte daher auf, was mir als Rettungsleine … als Untergangsleine dienen sollte – und machte mich auf den Weg zum Sumpfland. Am Rand angekommen, band ich ein Ende der Leine an den von Ranken erwürgten Stamm eines Baums, der an der äußeren Grenze stand. Dann schritt ich, mit Hilfe des Kompasses aus Kapitän Quickborns Truhe, in südsüdöstlicher Richtung weiter. Die Leine spulte ich hinter mir ab.
    Wo die Vegetation dichter war, hieb ich sie mit meiner Sichel nieder, ganz begeistert von der Mühelosigkeit, mit der sie alles zersäbelte, das sich mir in den Weg stellen wollte – was tatsächlich nicht allzuviel war, denn es schien, als habe da bereits jemand eine Art Trampelpfad angelegt, und eine Weile freute ich mich an dem Gedanken, eine natürliche, so günstig in südsüdöstlicher Richtung verlaufende Spur in diesem Schattenreich hinterlassen zu haben. Bald aber bemerkte ich die Zerstörungen an Laubwerk und Unterholz: offenbar hatte irgendein Tier diesen Weg angelegt. Ich stellte meine Beobachtungsgabe auf die Probe und kam zu dem Schluß, daß es ein großes Tier gewesen sein mußte, das mit rasendem Tempo dahingerannt war; denn die meisten Zweige und Ranken waren glatt abgebrochen. Und bald dämmerte mir die Antwort, und ein Stein fiel mir vom Herzen, das Rätsel gelöst zu haben.
    »Um Gottes willen«, dachte ich und schüttelte ungläubig den Kopf, »sogar dieser dämliche Gaul, den Beth aufgeschreckt hatte – wißt ihr noch? – sogar der spielt eine Rolle in dem größeren Geheimnis, in dieser letzten Vollziehung von Gottes Willen.« Und ich erinnerte mich, wie Kummer, das Pferd des Türken, nachdem es von Beth behext worden war, knisternd vor Elektrizität in diesen Geisterkreis gesprengt war und sich in den Sumpf gestürzt hatte. Und trotzdem – und trotzdem – ich folgte dem Pfad bis in den innersten Bezirk des Sumpflandes, an den Rand des Sumpfs, wo ich das andere Ende der Leine an einem Baumstamm festband; und ich fand es schon ganz schön komisch, daß diese Leine aus Gürteln und Draht und Schnüren und Stricken zufällig exakt die richtige Länge hatte, daß man damit eine gerade Verbindung zwischen dem Rand des Sumpflandes und seinem Innersten herstellen konnte. Jedenfalls konnte ich jetzt, indem ich einfach Hand über Hand der Leine folgte, in kürzestmöglicher Zeit von außen nach innen gelangen. Und als ich eben gehen wollte, drehte ich mich um, ging in die Hocke und visierte mit einem Auge an der Untergangsleine entlang – und da geschah etwa zur gleichen Zeit zweierlei.
    Als erstes sagte ein nörgelndes Stimmchen in meinem Kopf: »Der verfluchte Schecke, die alte Schindmähre ist hier vor über sechs Jahren durchgaloppiert. Diesen Pfad hat kein verschreckter gesprenkelter Klepper getrampelt!«
    Ich bückte mich, hob einen abgerissenen Rankenzopf auf und

Weitere Kostenlose Bücher