und die große Versoehnung
keine Träume …
Glenda erinnerte sich plötzlich an etwas. »Als ich noch ein kleines Mädchen war, sagte Sidney Cantrip immer: ›Lass deine Träume Wirklichkeit werden.‹«
Verena lächelte. »Der Gedanke gefällt mir, Träume Wirklichkeit werden zu lassen.«
Glenda sah wieder zum Kamin. Flammen reinigen, dachte sie. Kann ich mein Leben noch einmal neu beginnen? Ist das wirklich möglich, nach all den schrecklichen Dingen, die ich getan habe?
Nach einer Weile fragte Verena sie: »Also kommst du mit?«
Glenda wandte sich ihrer Enkelin zu und erwiderte: »Ich weiß es nicht. Ich muss über eine Menge nachdenken. Und es hat viel mit Stolz zu tun.«
Verena war klug genug, zu erkennen, wann der Zeitpunkt gekommen war, die Dinge auf sich beruhen zu lassen. Es würde nichts bringen, ihre Großmutter weiter unter Druck zu setzen.
Andererseits genoss sie es, die volle Aufmerksamkeit ihrer Großmutter zu haben, und sie war neugierig. »Erzähl mir etwas über dein Leben, Grandma«, bat sie. »Ich wüsste gern mehr von dir.«
Glenda sah Verena an, und ihr Gesicht verdunkelte sich vor Schmerz. Verena wartete.
Schließlich begann Glenda zu erzählen. Sie berichtete, wie verbittert ihre Mutter und Großmutter gewesen waren und Sidney Cantrip um alles beneidet hatten, was er erreicht hatte. Wie sie sich durchs Leben gekämpft hatten und wie sie die dunkle Magie benutzt hatten, um zu bekommen, was sie wollten. Sie erzählte Verena, wie eifersüchtig sie als junge Tänzerin auf Marilyn Cantrip gewesen war und wie sie in einer dunklen Londoner Gasse gegeneinander gekämpft hatten. Sie erzählte ihr von ihren vier Ehen und ihren vier toten Ehemännern. Dann sprach sie von ihrem Sohn.
»Sogar als Stephen geboren war, fühlte ich mich innerlich leer«, sagte sie. »Erst in den letzten Monaten habe ich ihn richtig kennen- und lieben gelernt. Stell dir das mal vor. All diese Jahre … all diese vergeudeten Jahre.«
Verena saß traurig und schockiert da. »Hast du je mit Daddy darüber gesprochen?«
Glenda schüttelte sehr langsam den Kopf. »Nein«, sagte sie beinah flüsternd.
Verena rutschte auf dem Sofa nach vorn und sah ihrer Großmutter fest in die Augen. »Aber jetzt hast du die Chance, alles wiedergutzumachen.«
Glenda lachte ein kurzes, ungläubiges Lachen. »Glaubst du das wirklich?«
Verena nickte.
»Du bist noch so jung, Verena. Du weißt nichts über die Welt, und wie hart es da draußen sein kann – wie grausam das Leben sein kann.«
Verena setzte sich kerzengrade hin. »Ich weiß, wie es sich anfühlt, einsam zu sein. Ich weiß, wie es ist, traurig und allein zu sein. Und ich weiß auch, wie es sich anfühlt, geliebt zu werden und eine Familie und Freunde zu haben, denen ich etwas bedeute.« Leise fügte sie hinzu: »Ich weiß, welches Gefühl mir lieber ist.«
Glenda Glass blickte in die Augen ihrer Enkeltochter. Und zum ersten Mal, seit sie im Juni auf Eichenruh angekommen war, lag Wärme in ihrem Lächeln.
Dann wandte sie den Blick ab, und Besorgnis machte sich in ihr breit. Verena wartete geduldig.
»Ich hatte noch nie zuvor Angst. Aber jetzt habe ich welche«, sagte Glenda. »Was wird dein Vater tun, wenn er die Wahrheit herausfindet?«
Verena sah sie offen an. »Ich weiß es nicht, Grandma.«
Sie schwiegen eine Weile. Dann sagte Verena: »Vielleicht warten wir noch etwas, bevor wir es Daddy erzählen. Er muss es ja nicht gleich wissen.«
Glenda runzelte die Stirn. »Da alle es wissen, müssen wir es ihm ebenfalls sagen.«
»Schon möglich – aber nicht sofort. Nicht, wo Mummy gerade heimkommt. Warum machen wir nicht einen Schritt nach dem anderen und sehen, was passiert?«
Glenda seufzte aus tiefstem Herzen.
Wieder schwiegen sie. Diesmal für eine lange Zeit.
Dann stand Glenda vom Sofa auf. »Zeit fürs Bett«, sagte sie.
Verena kam zu ihrer Großmutter und küsste sie auf die Wange. »Gute Nacht«, sagte sie, bevor sie nach oben in ihr Zimmer ging.
»Gute Nacht, Liebes«, erwiderte Glenda. Sie berührte ihre Wange dort, wo Verena sie geküsst hatte.
Glenda löschte das Feuer im Kamin, schaltete das Licht im Wohnzimmer aus und ging die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Dort setzte sie sich an den Schreibtisch und schaltete ihren Laptop an. Während sie darauf wartete, dass er hochfuhr, betrachtete sie ihr Gesicht, das sich in dem dunklen Bildschirm spiegelte.
Glenda gibt nach
Grandma traute ihren Ohren nicht, als am Freitagnachmittag die Bank anrief, um ihr zu sagen, dass der
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