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Und die Großen lässt man laufen

Und die Großen lässt man laufen

Titel: Und die Großen lässt man laufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Wahlöö Maj Sjöwall
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Dauergespräch. Ich versuche schon seit einer halben Stunde, dich anzurufen.«
    Nilsson war Kriminalassistent und hatte an diesem Abend Nachtdienst im Polizeihaus am Davidshallstorg. Mänsson seufzte.
    »Was gibt's?«
    »Im Speisesaal des Savoy ist ein Gast erschossen worden. Ich fürchte, ich muß dich bitten, mal hinzufahren.«
    Mänsson hob das leere, aber noch immer kalte Glas und ließ es mit der Handfläche über die Stirn rollen. »Ist er tot?« fragte er. »Weiß nicht«, sagte Nilsson. »Kannst du nicht S kacke hinschicken?«
    »Der hat dienstfrei. Wir wissen nicht, wo er steckt. Ich suche aber weiter nach ihm. Backlund ist zwar schon da, aber du solltest trotzdem…«
    Mänsson fuhr zusammen und stellte das Glas ab. »Backlund? In Ordnung, ich fahre gleich los«, sagte er. Er rief sofort die Taxizentrale an, legte den Hörer auf den Tisch, und während er sich anzog, lauschte er der knarrenden Stimme, die in gleichmäßigen Abständen mechanisch die Worte wiederholte: Autoruf, bitte warten Sie, bis sich endlich die Telefonistin meldete.
    Vor dem Hotel Savoy standen mehrere eilig und unachtsam geparkte Polizeiwagen, und vor dem Hoteleingang mühten sich zwei Polizeibeamte, eine rasch wachsende Zahl neugieriger Abendspaziergänger zurückzudrängen. Die Menschen scharten sich vor der Treppe.
    Mänsson beobachtete die Szene, während er den Taxifahrer bezahlte und die Quittung einsteckte. Einer der Polizisten führte sich für seinen Geschmack reichlich grob auf, und Mänsson dachte bedrückt, daß es wohl nicht lange dauern würde, bis die Polizisten Malmös den gleichen schlechten Ruf bekamen wie ihre Kollegen in Stockholm.
    Er sagte jedoch nichts, sondern begnügte sich mit einem Nicken, bevor er an den uniformierten Beamten vorbei in die Hotelhalle ging. Dort war inzwischen allerhand los; Personal aus den verschiedenen Abteilungen des Hotels war zusammengeströmt, und alle redeten durcheinander. Gäste, die aus dem Grillroom herübergekommen waren, sowie einige Polizeibeamte vervollständigten das Bild. Letztere schienen völlig ratlos zu sein. Die Umgebung war ihnen offensichtlich fremd, und es hatte ihnen wohl niemand gesagt, wie sie auftreten oder was sie tun sollten.
    Mänsson war ein hochgewachsener Mann in den Fünfzigern. Er war leger gekleidet und trug ein Sporthemd über der Terylenhose und Sandalen. Er holte einen Zahnstocher aus der Brusttasche, befreite ihn aus der Papierhülle und steckte ihn in den Mund. Er kaute ein bißchen auf ihm herum und betrachtete nachdenklich die Szene.
    Der Zahnstocher war amerikanischer Herkunft und schmeckte nach Menthol. Diese Dinger hatte Mänsson sich auf der Eisenbahnfähre Malmöhus zugelegt, wo für die Passagiere derlei Zeug bereitgehalten wurde.
    An der Tür zum großen Speisesaal stand ein Polizeibeamter, der Elofsson hieß und nach Mänssons Ansicht etwas klüger war als die anderen. Mänsson ging auf ihn zu. »Was ist eigentlich los?«
    »Jemand soll niedergeschossen worden sein.«
    »Welche Anweisungen hat man Ihnen gegeben?«
    »Gar keine.«
    »Was macht Backlund?«
    »Er verhört die Augenzeugen.«
    »Wo befindet sich der Niedergeschossene?«
    »Im Krankenhaus, glaube ich.« Elofsson errötete leicht. Dann sagte er: »Der Krankenwagen ist offenbar schneller hiergewesen als die Polizei.«
    Mänsson seufzte und ging in den Speisesaal. Backlund stand am Tisch mit den silbern glänzenden Terrinen und vernahm einen Keimer. Der war ein älterer Mann mit Brille und von alltäglichem Äußeren. Es war ihm irgendwie gelungen, Erster Kriminalassistent zu werden. Jetzt hielt er sein Notizbuch aufgeschlagen in der Hand und schrieb fleißig mit, während der Kellner seine Aussage machte.
    Mänsson blieb in Hörweite stehen, mischte sich aber nicht ein.
    »Um welche Zeit etwa geschah das alles?«
    »Tja, so gegen halb neun.«
    »Gegen?«
    »Ja, ich weiß es nicht so genau.«
    »Mit anderen Worten: Sie wissen also nicht, wie spät es war?«
    »Nein, genau das wollte ich sagen.«
    »Merkwürdig«, sagte Backlund.
    »Wie bitte?«
    »Ich sagte, daß ich das merkwürdig finde. Sie tragen doch sicher eine Armbanduhr, nicht wahr?«
    »Aber ja doch.«
    »Und dort hinten hängt eine Wanduhr, wenn ich nicht irre?«
    »Ja, aber…«
    »Aber was?«
    »Beide gehen falsch. Und außerdem habe ich nicht daran gedacht, auf die Uhr zu sehen.«
    Backlund schien von dieser Antwort überwältigt zu sein. Er legte Block und Bleistift aus der Hand und fing an, seine Brille zu putzen.

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