Und ewig seid ihr mein
Jedes Mal, wenn du zu Bett gegangen bist, bist du zehn Minuten später als Frank de Meer aufgewacht und hast getan, was getan werden musste. Kapier das endlich.»
«Wie kommen Sie darauf?»
«Du hast es mir erzählt.»
Levy beschloss, das Interview abzubrechen. «Ich denke, diese Unterhaltung ergibt keinen Sinn, solange Sie versuchen, Ihre Taten auf mich abzuwälzen.»
Kolber holte aus zum finalen Stoß. «Sprichst du immer noch mit ihm in deinen Träumen?»
Levy merkte auf. «Was meinen Sie?»
Auf Kolbers Gesicht zeigte sich grenzenlose Schadenfreude. «Du weißt, von wem ich spreche. Diesem Anubis. So nennst du dich doch. Oder?»
27
Sven Demandt hatte sich während des Gesprächs mit Jan Roosendaal Notizen gemacht. Das, was ihm der frühere Anwalt der Familie Levy und Balthasars Leumund gesagt hatte, war ungeheuerlich.
Ruben de Meer war Balthasar Levy.
Ruben und Balthasar hatten das kindliche Trauma der Familienentzweiung und den Tod der Familie nie richtig überwunden. Daraus resultierte bereits in Kindheitsjahren eine dissoziative Identitätsstörung, die bis heute nicht erkannt, geschweige denn behandelt wurde. Die Gedächtnislücken, die Demandt als Aussetzer bezeichnete und Levy vorgeworfen hatte, waren in Wirklichkeit Amnesien. Sie traten bei Identitätsstörungen nahezu zwingend auf, um das verletzte Ich zu schützen.
Verdammt, wieso hatte Demandt das nicht früher bemerkt? Er hatte Levy doch während der Ausbildung und später im Dienst nahezu täglich vor Augen gehabt. Hatte er es sich ähnlich leicht gemacht wie die Psychologen, die Levy aufgrund seines Alkoholkonsums behandelten? Wollten sie nicht sehen, dass sein Problem ganz anderer Natur und der Alkohol nur eine Nebelwand war, hinter der sich das Grauen einer ruinierten Kindheit verbarg?
Demandt musste blind gewesen sein.
Bevor er die notwendigen Schritte einleitete, musste er die Information gegenprüfen. Er griff zum Telefon und rief in der Personalabteilung an. «Suchen Sie bitte die Akte Balthasar Levy heraus.»
Es dauerte eine Weile. Dann: «Was brauchen Sie?»
«Den Geburtsort.»
«Groningen.»
Also doch. Hatte er beim Einstellungsgespräch noch etwas übersehen? «Taucht der Name Ruben de Meer irgendwo auf?»
«Einen Moment.» Schließlich: «Nein, den sehe ich hier nicht.»
Gott sei Dank, beruhigte sich Demandt. Das fehlte ihm noch, dass ein möglicher Serienmörder im eigenen Haus aktenkundig war. Der Verdacht ließ sich trotzdem nicht länger leugnen. Wenn Demandt eins und eins zusammenzählte, überkam ihn eine fürchterliche Ahnung: Konnte Levy Frank de Meer sein?
Selbst wenn er es nicht war, schlüpfte er zeitweise in dessen Identität? Oder hatten sich die beiden Brüder versöhnt und eine mörderische Allianz gebildet?
Frank und Ruben. Ruben und Frank.
Tatsache war, dass beide existierten. Tatsache war weiterhin, dass beide eine gestörte Persönlichkeit hatten und beide ihre Identitäten wechselten. Die entscheidende Frage lautete nicht, ob Levy nun Frank oder Ruben war, sondern ob Levy die Voraussetzungen erfüllte, um dem Profil von Anubis zu entsprechen. War er dazu fähig?
Er besaß alle notwendigen Kenntnisse, sowohl in der Anatomie als auch bei den Ermittlungen. Kein Wunder, dass sie niemals auch nur in die Nähe des Mörders gekommen waren. Levy hatte sich vor der Aufdeckung selbst geschützt.
Nächtens ging er morden, und tagsüber ermittelte er gegen sich selbst. War Levy sich dessen bewusst?
Wenn ja, dann war es ein perfekt inszenierter, perfider Plan; wenn nicht, dann lief er ahnungslos im Kreis. Fragte sich nur, wann er das nächste Mal in die Rolle von Anubis schlüpfte.
So oder so, Demandt musste Levy zur Rede stellen. Günstigstenfalls war Levy der Bruder von Anubis. Das machte ihn zu dem wichtigsten Zeugen der Ermittlungen, zum Dreh- und Angelpunkt.
Bevor er eine Fahndung nach ihm in Gang setzen konnte, musste er die neuen Erkenntnisse mit Michaelis besprechen. Verdammt, wo steckte sie nur?
28
Woher wusste Kolber von Levys Träumen? Levy hatte mit niemanden darüber gesprochen. Dessen war er sich sicher. Es war sein ureigenes Geheimnis. Was aber, wenn Kolber ihn nicht belogen hatte?
Die Unsicherheit ließ ihm keine Ruhe. Er hatte die Wohnung gleich nach seiner überhasteten Rückkehr aus Eickelborn komplett auf den Kopf gestellt. Er hatte nach Hinweisen gesucht, die auf eine zweite Person, Frank de Meer, würden schließen lassen. Auch sein Computer wollte darauf keine Antwort geben. Levy
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