Und ewig seid ihr mein
Kolber damit bezwecken? Ihn verunsichern? Richtete sich seine Aggression gegen Psychologen nun auch gegen ihn? Es war bei Strafgefangenen nicht ungewöhnlich, dass sie sich mit Übertreibungen und Falschaussagen in den Vordergrund spielten. Es war die gleiche Eigenschaft, die sie letztlich ins Gefängnis gebracht hatte – ein gestörtes Verhältnis zu sich und der Umwelt.
«Was bringt Sie dazu anzunehmen, dass ich Frank de Meer sei?», fragte Levy ruhig.
«Na, du selbst. Denkst du vielleicht, ich spreche mit jedem Quacksalber, der hier hereinkommt und mein Hirn durchleuchten will? Ich habe mir deine wissenschaftlichen Arbeiten, die du über psychisch kranke Gewaltverbrecher verfasst hast, zeigen lassen. Erst dann habe ich zugestimmt, mit dir zu sprechen. Wir haben uns gut verstanden. Sehr gut sogar.»
Levy blieb ob dieser klaren Worte unberührt. Kolbers Zustand musste sich seit ihrem letzten Gespräch enorm verschlechtert haben. Sicher hatten sie früher Kontakt gehabt. Ausgiebigen sogar. Allerdings schien der Geltungsdrang Kolbers dessen Realitätsempfinden stark beeinflusst zu haben. Levy musste dem entgegensteuern, sonst war ihr Gespräch sinnlos.
25
«Rubens neuer Vater, ein Deutscher, war als Handelsattaché in der Botschaft tätig», sagte Roosendaal. «Das bedeutete, dass er sich nicht länger als zwei oder drei Tage an einem Ort aufhielt. Natürlich hätte er die neue Stelle im Hinblick auf Ruben ablehnen können, im Nachhinein hätte er es sogar müssen, aber er traf diese Entscheidung nicht allein.»
Demandt erriet es. «Seine Frau wollte es auch.»
«Sie war im Grunde ein guter Mensch. Ihr Problem war die Familie. Sie stammte von altem holländischen Adel ab. Ihre Vorfahren haben viel für das Land und die Wirtschaft getan. Dennoch blieb ihr die Bestätigung in ihrem Leben versagt. Daher auch die Bitte, mich nach einem Kind umzuschauen. Sie war unfruchtbar. Ich denke, das war ein weitererGrund für ihr Verhalten. Nun, als ihr Mann die neue Stelle antrat, wollte sie auf eine weitere Bestätigung auf diesem Feld nicht verzichten, sie wollte wieder eine Rolle im politischen und wirtschaftlichen Leben spielen, wie damals ihre Familie es getan hatte. Sie brachte Ruben in einem Internat unter und dachte, damit habe sie zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.»
«Ruben fühlte sich erneut verlassen.»
«Er litt. Nicht nur unter der Trennung, sondern plötzlich rissen alte Wunden wieder auf. Er verfiel in ein Phlegma. Den Kontakt zu seinen Mitschülern mied er. Die hingegen hatten ein dankbares Opfer für ihre Streiche gefunden. Die Lage spitzte sich über Monate hinweg zu. Ich habe ihn im Internat besucht, wenn seine Eltern auf Reisen waren. Er hatte mich angefleht, ihn mitzunehmen. Doch ich konnte nicht. Er begann seine Eltern zu meiden, wünschte keinen Besuch mehr von ihnen.»
«Und dann?»
«Ihr Flugzeug stürzte über Afrika ab. Sie waren auf der Stelle tot.»
«Was wurde aus Ruben?»
«Er zeigte eine Reaktion, die ich mir immer noch nicht erklären kann. Zuerst empfand er so etwas wie Genugtuung, dann aber kam der Rückschlag. Ruben fing an, sich Vorwürfe zu machen. Dass er den Tod der Eltern herbeigeführt hatte.
Ich musste ihn von der Schule nehmen und ihn in psychotherapeutische Behandlung geben. Er stimmte zu, unter einer Bedingung: Er wollte nicht noch einmal in eine Familie abgeschoben werden. Ich sprach mit den Verwandten und dem behandelnden Arzt darüber. Nach allen Abwägungen kamen wir überein, dass er bis zu seiner Volljährigkeit unter meiner Vormundschaft bleiben sollte.»
«Und wie hat er sich entwickelt?»
«Ich habe noch nie in meinem Leben so versagt. Ich tat, was ich nur konnte. Er jedoch wechselte die Therapien und die Schulen. Nirgends kam er zurecht. Ein Zuhause, ein wirkliches, konnte auch ich ihm nicht geben, dafür war ich viel zu beschäftigt. Ich habe Kanzleien in Holland und in Brüssel aufgebaut. Das ist auch ein Grund, warum ich unverheiratet geblieben bin.»
«Haben Sie noch Kontakt zu ihm?»
«Kaum. Nur wenn er dringend etwas braucht, meldet er sich. Ich tue dann, was ich kann, um ihm zumindest das zu geben, was er sich wünscht.»
Eine Pause trat ein. Demandt fühlte, wie der plötzlich alt wirkende Mann auf der anderen Seite in Schuldgefühlen versank.
«Wo hält Ruben sich jetzt auf?», fragte Demandt.
«Er lebt seit langem in Deutschland.»
«Was ist sein Beruf?»
«Er ist Psychologe.»
Demandt horchte auf. «In welchem Bereich der
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