Und ewig seid ihr mein
dann will ich Ihnen noch etwas für Ihre Träume mitgeben.»
«Ich höre.»
«Und der Junge sprach: Du bist schuld.»
26
Der kleine Balthasar Levy heulte sich die Seele aus dem Leib. Er stand am Fenster seines Zimmers und blickte der Jaguar-Limousine hinterher. Vergebens mühte sich einer der Erzieher, ihn zu beruhigen. Ein Monat würde schnell vergehen, sagte er.
Doch Levy wollte nichts davon hören. Zu gut kannte er seine Mutter inzwischen, die ihn in diesem Heim für abgestellte Kinder parkte.
Als die Limousine die Auffahrt verlassen hatte, wünschte Levy sich nur noch eins: dass sie niemals mehr zurückkommen sollte.
Vielleicht würde er dann den Schmerz des Immer-wieder-verlassen-Werdens endlich bewältigen können.
Er schloss die Augen und wünschte es sich ganz fest.
Bleib weg. Komm nie wieder.
Trudelnd, eine dicke Rauchfahne hinter sich herziehend, krachte die Cessna in den dürren Boden Afrikas. Die Wucht zerknüllte das Cockpit und die Fahrgastzelle wie Papier. Die Treibstofftanks explodierten und machten aus der Privatmaschine einen weit verstreuten Haufen brennender Splitter, versengten Fleischs und geborstener Knochen.
Levy vermochte kurz vor dem Aufprall die verzweifelten Schreie seiner Mutter noch hören. Sie klangen in seinen Ohren nach Genugtuung. Jeder Schrei war eine seiner Tränen. Gemessen an dem Meer, das er vergossen hatte, würde sie auf immer schreien.
Als er aber verstand, was er angerichtet hatte und dass er fortan nicht nur einsam, sondern auch alleine war, setzte sich sein Leid fort. Das Gefühl der in Erfüllung gegangenen Rache war nur von kurzer Dauer gewesen und hinterließ mehr Schmerz als zuvor.
Vom Himmel her hörte er die Anklage:
Du bist schuld
.
Levy erwachte atemlos. Um ihn herum hallte diese Stim me wider:
Du bist schuld.
Levy schleppte sich im Morgenlicht, das durch die breite Fensterfront hereinfiel, zum Kühlschrank. Er schützte die Augen vor der unerwarteten Helligkeit. Es musste spät sein, früher jedoch, als er gewöhnlich aufstand. Die Umstellung von Nacht- auf Tagarbeit hatte er noch nicht ganz im Griff.
Wie zu erwarten, gab der Kühlschrank nichts her. Sein Hals brannte. Eine halb volle Flasche war noch übrig. Wenn er an seinem Schlaf-Wach-Rhythmus schon so hart arbeitete, dann konnte er beim Alkohol auch eine Ausnahme machen. Er griff zu und gönnte sich zwei kräftige Schlucke.
27
Es war zwanzig nach neun Uhr. Erneut kam er zu spät, obwohl er schnell geduscht und dem Taxifahrer ein erhöhtes Fahrgeld gegeben hatte, um die Straßenverkehrsordnung für diese eine Fahrt zu seinen Gunsten auszulegen.
«Wissen Sie, wie viel Uhr es ist?», fauchte ihm Michaelis entgegen, als er sich an seinen Tisch setzte.
«Ich weiß», antwortete er, verkniff sich die Entschuldigung, die ohnehin nichts eingebracht hätte.
Als Erster bemerkte Alexej, der rechts neben Levy saß, den Geruch, der von Levy ausging. Dann Falk zu seiner Linken. Alexej knuffte ihn mit dem Knie unter dem Tisch. Er rollte die Augen Richtung Ausgang. Doch dafür war es zu spät. Die Fahne hatte Michaelis erreicht.
Sie schnupperte die Luft, versuchte zu lokalisieren, woher der Gestank frischen Alkohols kam.
Erst jetzt bemerkte Levy, dass er einen unverzeihlichen Fehler gemacht hatte. Er hatte das Frühstück sausen gelassen, um pünktlich zur Morgenkonferenz zu erscheinen. Und genau diese von Michaelis verordnete Pflicht brachte ihn nun in eine prekäre Lage. Das Einzige, was sich in seinem Körper befand, war Alkohol, und der fand seinen Weg über den Atem zu ihr.
Die Michaelis glaubte ihrer Nase nicht zu trauen. «Haben Sie getrunken?!»
Levy riss sich zusammen, versuchte noch vom Haken zu springen. «Anubis hat sich nochmals gemeldet.»
Die Ablenkung funktionierte. «Haben Sie ihn aufgezeichnet?», fragte Falk gespannt.
Levy zückte eine CD und fuchtelte damit für alle sichtbar vor seinem Gesicht herum, als wolle er einen Handel vorschlagen: Ja, ihr habt mich erwischt, aber dafür habe ich Anubis auf CD.
Michaelis verstand den Wink. Sie unterdrückte notgedrungen den Urteilsspruch, wenngleich er nur verschoben war.
Alexej legte die CD ins Laufwerk. Über die Lautsprecher erklang das Gespräch, das Anubis und Levy in der Nachtzuvor geführt hatten. Die anfänglich gespannte Erwartung, die Identität Anubis’ ein Stück weit zu lüften, war nach dem letzten Satz in Verblüffung umgeschlagen
«Was sollte denn das sein?», fragte Naima im Namen aller.
«Für mich klingt es nach
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