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Und Freunde werden wir doch

Und Freunde werden wir doch

Titel: Und Freunde werden wir doch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Jörg
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Vater ist Diplomat.« Da staunen alle: »Ah, oh, wie interessant! Erzähl mal! Wie ist es bei euch?«
    Aber: »Mein Vater mußte fliehen. Bei uns herrschte Diktatur.« Das bringt gar nichts. Das wirkt nur abstoßend: »Wovon lebt ihr denn? Wie lange bleibt ihr noch? Seid ihr etwa Asylanten?«
    Ronni überquert die Straße. Am Feldrand sitzt eine Katze, getigert, mit einem großen weißen Fleck auf der Brust. Vorsichtig geht Ronni auf das Tier zu und spricht mit ihm: »Pablo, komm, komm zu mir.« Ronni kniet sich hin. Die Katze sieht wirklich so aus wie sein Kater Pablo. Die schwarzen Streifen zwischen den Ohren, genau wie Pablo. Nur Pablos Augen sind schöner, größer, jedenfalls in Ronnis Erinnerung.
    Die Katze läßt sich streicheln. Ronni genießt das zufriedene Schnurren. Er krault und streichelt ihr das Fell und erzählt schöne Sachen: »Bei mir hättest du es gut. Ich würde dir Leckerbissen besorgen und mit dir schmusen, sooft du willst.« Ein Moped fährt knatternd und stinkend vorbei. Mit einem Satz verschwindet das erschreckte Tier im Feld. »Bis nächsten Freitag«, ruft Ronni ihm nach. Er muß sich jetzt beeilen, sonst verpaßt er seinen Vater noch.
    Der Siemenskonzern erstreckt sich über beide Straßenseiten. Links, wo Ronni geht, ist auch der Siemens-Erholungspark. Da kann man Tennis spielen, schwimmen, joggen, seinen Körper trimmen. Rechter Hand steht das Hochhaus, glatt und spiegelklar wie ein großer kalter Glaswürfel. Hinein in das Werk kommt man nicht so leicht. Metallgitter versperren den Weg, Pförtner kontrollieren. Heraus kommen Menschen auch nur zu bestimmten Zeiten: Freitag nachmittag um drei wimmelt es an den Toren von menschlichen Ameisen, die sich in alle Richtungen davonmachen.
    Ronni bleibt auf der linken Straßenseite stehen, obwohl sein Vater aus dem Tor rechts kommen wird. Er ist nicht der einzige, der wartet. Es sind immer einige andere da, die ihren Mann oder ihre Frau oder Freundin abholen. Aber ein Kind, das auf seinen Vater wartet, damit der nicht in die Kneipe geht, hat Ronni noch nicht gesehen.
    Jeden Freitag steht er hier. Jeden Freitag schämt er sich. Nicht seines Vaters schämt er sich, nein, er schämt sich für dieses Versteckspiel: Beide wissen, warum Marie ihn herschickt, und beide tun so, als wäre nichts.
    Salvador Ramirez kommt heute spät durch das Werktor. Er hat eine kleine Mappe unter dem Arm, und er ist gut gekleidet, so wie die Herren, die in den oberen Etagen arbeiten. Salvador trägt ein weißes Hemd, die Hose ist dunkelblau, nur die - ab einer bestimmten Gehaltsstufe - übliche Krawatte fehlt. Erschöpft sieht er aus, abgearbeitet.
    Daß er einmal als Küchenhilfe in einem deutschen Industriekonzern arbeiten würde - Salvador hätte es sich in seinen schlimmsten Kinderträumen nicht ausgemalt. Jetzt ist er sogar froh über diese Beschäftigung. Sozialleistungen und Sondervergünstigungen sind bei Siemens besser als in anderen Firmen, und sein Arbeitsplatz ist sicher.
    Mittlerweile weiß Salvador über die Hintergründe der wirtschaftlichen Misere seines Landes besser Bescheid. Ausländische Firmen lassen in Chile Waren produzieren, weil die Arbeitslöhne niedrig sind. Den Gewinn schöpfen diese Firmen ab. Chile ist auf Auslandskredite angewiesen. Damit ist eine gewisse Abhängigkeit von den Kreditgebern gegeben, die auch Einfluß auf die Entscheidung nehmen können, für welche wirtschaftliche Maßnahmen das Geld verwendet werden soll. Nur die neue Regierung kann Reformen und Hoffnung auf Besserung bringen. Natürlich spricht Salvador an seinem Arbeitsplatz nie darüber. Von ihm wird erwartet, daß er sich als Spüler benimmt wie ein Spüler, also keine Ahnung von wirtschaftspolitischen Zusammenhängen hat.
    Und außerdem hat er erfahren müssen, daß es hier Menschen gibt, die jemanden, der etwas weiter denkt, als bis zum eigenen Konsum, gerne ein bestimmtes politisches Etikett verpassen. Das hat Salvador in seinem Heimatland schon mal erlebt, und wenn er auch in Deutschland seiner Meinung wegen nicht verfolgt wird, so schweigt er lieber.
    Wäre er bloß Zahnarzt geworden, wie sein Vater sich das immer gewünscht hatte. Zahnärzte sind nicht verdächtig, selbst in Diktaturen nicht. Doch als Lehrer gehört man zu dem Personenkreis, der als erster bespitzelt wird.
    Dabei war er immer zurückhaltend, um Ausgleich bemüht. Extremismus war nie seine Sache gewesen. Doch nach diesen Verfolgungen und Bedrohungen hatte er wie viele andere versucht, sich und

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