Und Freunde werden wir doch
Außerdem kann man Hanna jederzeit die unmöglichsten Dinge anvertrauen, Hanna versteht alles, sie lacht einen nie aus. Wenn es doch nur nicht so schwer wäre, mit der Sprache herauszurücken ...
Als Hannas Begeisterungsstürme langsam abebben, faßt sich Sandra ein Herz:
»Ich hab dir auch ’ne Menge zu erzählen!«
»Ja, toll, schieß los, Sandretta!«
Hanna macht es sich auf dem Boden bequem, sie sieht ihre Freundin erwartungsvoll an.
»Also erst mal, am Dienstag, da hab ich meiner Mutter gesagt, ich wäre bei dir gewesen...«
»Ach so, na ja, verabredet waren wir ja auch. Also, ich sage nichts, da kannst du dich auf mich verlassen! Und wo warst du wirklich?«
»Das ist eine etwas längere Geschichte.« Sandra schluckt. »Weißt du, ich hab da mal mitgekriegt, daß die Eltern von Ronni Asylanten sind. Denen geht es nicht gut. Die sind ziemlich isoliert hier. Und dann hat doch Ronni in der Schule gefehlt, drei Tage lang. Und da hab ich gedacht, ich bringe ihm die Hausaufgaben ...«
Sandra atmet tief durch. Was sie sagt, ist zwar richtig, aber es entspricht dennoch nicht der Wahrheit. Doch mehr anzudeuten, bringt sie einfach nicht fertig. Da muß die barmherzige Samariterin herhalten und ihr Verhalten plausibel machen.
»Stell dir vor, Ronni war gar nicht krank. Der hat die Schule geschwänzt, aber seine Mutter wußte nichts davon. Die hat mich gleich zum Essen eingeladen. Sie ist furchtbar nett. Aber wie die wohnen, das kannst du dir nicht vorstellen. In einer dunklen Bude, unterm Dach!«
Aufmerksam hört Hanna zu und glaubt Sandra jedes Wort. Durch ihre Mutter, die bei Amnesty International und bei dem Kinderhilfswerk terre des hommes ehrenamtlich mitarbeitet, hat sie schon manches über die Probleme der Südamerikaner hier erfahren. Deshalb denkt sie sofort ans Helfen:
»Was wollen wir da machen? Wir können uns für Ronni einsetzen, der hat doch ohnehin genug Probleme in der Schule!«
»Hanna, ich bin noch nicht fertig!« Mit einer entschiedenen Handbewegung brernst Sandra die Freundin, aber ihre Stimme zittert. Sich um Ronni kümmern, das braucht Hanna nun wirklich nicht! Und darum kommt sie schnell auf ihre zweite Neuigkeit zu sprechen: »Eben war ich in der Bibliothek und habe mir ein paar Bücher ausgeliehen -«
Hanna nickt: »Viel Spaß! Dürften mindestens dreitausend Seiten sein.«
»- ja, und stell dir vor, da kommt ein Herr Ramirez herein und zieht mit Frau Müller ab!«
Sandra sieht Hanna an, als habe sie ihr soeben die Titelstory der »Bildzeitung« von morgen verkündet. Doch Hanna fragt fast gelangweilt: »Ja und?«
»Mensch, Hanna, das war bestimmt Ronnis Vater! Ronnis Mutter ist unheimlich nett, die schuftet und schmeißt den Haushalt, die geht putzen und ist für ihre Kinder da, und der macht sich einen schönen Lenz mit dieser Kuh!«
Nun muß Hanna ihre Freundin aber bremsen:
»Sag mal, woher willst du eigentlich wissen, daß das Ronnis Vater war? Vielleicht heißt in Chile jeder zweite Ramirez!«
Sandra sieht Hanna verdutzt an. »Ach so, meinst du...?«
»Ja, meine ich«, antwortet Hanna fest.
Aber Sandra kann nicht so schnell von ihrem Verdacht und ihrem Plan abrücken. »Der holt jeden Donnerstag die Müller in der Bibliothek ab. Wir könnten doch mal hinterherschleichen!«
Das Findet Hanna nun wieder sehr spannend. Sie stimmt - heftig mit dem Kopf nickend - zu. Doch mitten in der Bewegung erstarrt sie. Ihr kleiner Bruder steht nämlich in der Tür und brüllt: »Da will ich aber auch mit!«
»Auch das noch!« Sandra läßt sich in den Sessel zurückfallen.
Hanna schreit Tobias an: »Hast du etwa gelauscht, du hinterhältiges Biest?«
Tobias setzt eine Unschuldsmiene auf und flötet: »Ach, ich wollte euch doch nur unterstützen. Übrigens: darf ich mich vorstellen - Schnüffel und Co.«
»Allerdings!« Hanna tut zwar sehr verärgert, doch kann sie ihrem kleinen Bruder nicht lange böse sein. Aber das braucht der nicht gleich zu merken, darum nennt sie ihn jetzt so, wie er es absolut nicht leiden kann. Zu Sandra sagt sie:
»Unser Baby hat mal wieder zugeschlagen.« Merkwürdigerweise läßt das Babyschimpfwort Tobias heute kalt. Statt dessen bettelt er: »Nehmt mich doch mit!«
Sandra zieht die Augenbrauen hoch, Hanna schweigt erst einmal. Aber plötzlich fällt ihr etwas ein, und sie fragt mit der Schärfe eines Polizeihauptwachtmeisters: »Wie lange hast du da vor der Tür gestanden?«
Tobias kratzt sich am Kopf. Als Hanna befiehlt, endlich zu antworten, kommt
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