Und Freunde werden wir doch
es zögernd aus ihm heraus: »Och, ich hab dabei nicht auf die Uhr geschaut.«
Für Hanna ist damit klar: Er hat von Anfang an mitgehört und weiß nun auch über die Geschichte mit Jens Bescheid. Das paßt ihr gar nicht.
»Sandra, wir müssen uns in Zukunft an einem neutralen Ort treffen.« Hannas Stimme klingt zornig. Den bittenden Blick ihres kleinen Bruders übersieht sie geflissentlich.
»Ja, Hanna, ich weiß auch schon, wo. Ich war doch mit Felipe -«
»Sag ja nichts!« unterbricht Hanna. Sonst haben wir ihn wieder am Hals.«
Nun ist für Tobias bald die Grenze erreicht, an der die Tränen losrollen. »Ihr seid ganz gemein«, schluchzt er. »Ich finde das richtig gemein!«
»Aber, aber.« Hanna tätschelt Tobias den Rücken. »Wir überlegen mal, wie wir dich in unseren Plan einbeziehen können. Einverstanden? Aber jetzt brauchen wir wirklich etwas Zeit für uns.«
»Au ja!« Tobias ist versöhnt und zieht sich freiwillig zurück, zum Hausaufgabenmachen.
Als die Zimmertür geschlossen ist und nachdem Hanna noch zweimal kontrolliert hat, ob Tobias wirklich nicht mehr lauscht, rückt Sandra mit ihrem Vorschlag heraus:
»Wir können uns bei Alberto treffen, ein italienisches Café in der Nähe vom Großmarkt. Am besten gleich am Samstag, dann sitzen wir nicht ewig bei mir zu Hause herum.«
Beim Großmarkt war Hanna noch nie, und darum gefällt ihr die Idee: »Wie kommst du denn ausgerechnet auf diesen Italiener?«
»Ach, ich war mit Ronnis kleinem Bruder dort. Der ist ganz lustig, so etwa Marke Tobias. Der hat mich da hingeführt.«
Hanna staunt: »Aber ganz schön frühreif, der Kleine, oder?«
Sandra nimmt Felipe in Schutz: »Nee, eigentlich nicht, nur eben viel selbständiger, als wir das gewohnt sind.« Hanna ist richtig neugierig auf das italienische Café, und sie versichert sich noch einmal: »Ist das jetzt abgemacht? Am Samstag gehen wir zu Alberto.«
»Klar, ist abgemacht.« In Sandras Magen breitet sich ein Prickeln aus, von dem sie nicht weiß, ob es nun wohlig oder eher beängstigend ist. Und da sie nun schon einmal dabei ist, die Dinge zu berühren, die sie im Augenblick am meisten beschäftigen, flüchtet sie sich gleich weiter nach vom: »Übrigens lerne ich jetzt Spanisch. Das sind Bücher über Chile.«
»Du stürzt dich ja ganz schön in Aktivitäten! Habla Espagnol?«
»Si, si.« Sandra ist erstaunt: »Sag bloß, du kannst schon Spanisch?«
»Nein, keine Angst, nur zwei Sätze und ein paar Wörter. Wir haben doch mal in Spanien Urlaub gemacht: El perro está sentado debajo de la mesa.“
»Was heißt das denn?« Sandra sieht ihre Freundin unglücklich an.
»Das heißt -« Hanna kichert, »- das heißt: Der Hund sitzt unter dem Tisch. Unglaublich wichtiger Satz, nicht?«
Sandra revanchiert sich. Sie schlägt den zweisprachigen Gedichtband auf und zitiert mit lauter Stimme:
»Un pájaro elegante,
patasdelgadas, cola interminable,
viene
cerca de mí, a saber qué animal soy.
Willst du wissen, was das heißt?«
Sandra wartet Hannas Antwort gar nicht erst ab, sondern fährt gleich fort:
»Ich übersetzte es dir mal schnell:
Ein eleganter Vogel,
schlanke Beine, endloser Schwanz,
kommt dicht
zu mir her, um zu erfahren, was für ein Tier ich bin.«
Hanna bleibt vor Staunen fast der Mund offenstehen.
Sie nimmt Sandra das Buch aus der Hand und begreift: »Aha, Sandra, das Zweisprachengenie!«
»Sind aber wirklich schön, die Verse, oder? Von Chiles bekanntestem Dichter: Pablo Neruda.«
»Hm, schön. Übrigens, wenn du mehr über Südamerika wissen willst, brauchst du nur meine Mutter zu fragen. Die hat durch Amnesty und terre des hommes unheimlich viele Informationen. Allerdings, was ich da bisher so mitbekommen habe, ist alles andere als lustig. Das Leben in Chile muß sehr schlimm sein.«
Wie gerufen kommt in diesem Augenblick Frau Voss nach Hause. Sie ist nicht mehr ganz jung, aber sehr aktiv und fröhlich. Frau Voss stellt die Einkaufstasche auf dem Küchentisch ab und begrüßt die Kinder herzlich, die aufgeregt zu ihr in die Küche gelaufen kommen.
»Na, ihr drei, was gibt’s Neues?«
Tobias, der eben dazukommt, öffnet den Mund, aber Hanna ist schneller:
»Mama, Sandra will sich für einen Chilenen aus unserer Klasse einsetzen. Du weißt doch so viel über Südamerika. Erzähl mal.«
Frau Voss sieht Sandra verständnislos an. »Die einfachste Möglichkeit wäre ja wohl, den Jungen selbst nach seinen Erfahrungen zu fragen!«
Sandra sieht zu Boden. »Er
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