Und Freunde werden wir doch
Frau annehmen kann. Bisher hat die Frau den Namen des Mannes bekommen.«
Patricio ist mit der Antwort zufrieden: »Aber in Chile, jede Frau behält ihren Namen! Meine Mutter heißt Marie Cardenas, mein Vater Salvador Ramirez.«
Nun mischt sich auch Sandra ein: »Und ihr Kinder?«
»Ich heiße Patricio Ramirez Cardenas.«
»Hm, interessant«, findet Hanna. »Wie ist das Leben in Chile?«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, was ist anders als hier?«
Patricios Miene hellt sich auf. Etwas lauter als vorher spricht er weiter: »Viel. Alles! Zum Beispiel: In Chile es gibt sehr viele Kinder. Jeder hat drei, vier oder fünf Kinder. Das ist ganz normal. Wenn ein Paar hat keine Kinder, es ist traurig. Hier ich kenne viele Leute, die wollen nicht Kinder. Oder sie haben nur eins, das ist viel zu wenig. Für uns das ist - unvorstellbar.« Patricio fährt sich über die Stirn. »Kann man das so sagen?«
»Ja, klar, astrein dein Deutsch!« Hanna meint das ehrlich. Natürlich spricht Patricio sehr langsam und mit einem starken Akzent. Doch der hört sich gut an. Patricio freut sich über das Lob. Er fährt fort: »Bei uns überall sind Kinder, auf den Straßen, überall. Sie sind laut und natürlich auch frech. Hier die meisten Leute sind erwachsen oder alt. Sie schimpfen, wenn Kinder machen Spaß.«
Sandra muß Patricio zustimmen: »Da hast du recht. Ich bin auch ein solches Einzelkind. Ziemlich blöd ist das, das kann ich dir sagen, blöd und langweilig.« Hanna tröstet ihre Freundin: »Aber du hast ja mich! Und meinen kleinen Bruder, den leihe ich dir gerne jederzeit.« Da muß Sandra lachen.
Und nun endlich kommt Patricio auf das zu sprechen, was ihm eigentlich am Herzen liegt: »Eure Lehrer, die sind nett zu Ronni?«
»Na ja, es geht.« Hanna sieht Sandra fragend an. Und Sandra sagt es ganz offen: »Also die Wimmer, unsere Klassenlehrerin, kann ihn, glaube ich, nicht leiden. Die meckert laufend an ihm herum. Aber die anderen sind ganz in Ordnung. Höchstens noch der König, Erdkunde- und Sportlehrer, der ist manchmal auch fies, so ironisch irgendwie. Aber Ronni wehrt sich auch nicht. Der tut so, als pralle das alles an ihm ab, der hat sich noch nie beschwert.«
Patricio sieht Sandra besorgt an: »Meine Mutter war in der Schule, um mit Frau Wimmer zu sprechen. Aber meine Mutter spricht schlecht Deutsch. Sie hatte das Gefühl, daß die Lehrerin sie nicht verstanden hat -oder nicht wollte verstehen.«
»Ja und? Was ist denn passiert?« will Hanna wissen. Patricio rutscht auf dem Stuhl hin und her: »Nichts. Aber Ronni ist so ... so traurig. Er hat keine Freunde.« Das können Hanna und Sandras allerdings bestätigen. Er macht es einem auch nicht gerade leicht, denkt Sandra, spricht es aber nicht aus.
Da überrascht Patricio die beiden mit dem Vorschlag, zu ihm nach Hause zu gehen: »Sandra, du wolltest doch Ronni schon einmal besuchen. Wollt ihr mitkommen ... jetzt, Ronni ist zu Hause.«
Sandras Herz schlägt bis zum Hals. Sogar Ronnis großer Bruder weiß von ihrem Besuch. Wie peinlich! Sie hat wieder Bauchweh. Ohne zu überlegen, antwortet sie, und es klingt sehr streng: »Nein, ich kann jetzt auf keinen Fall. Ich muß nach Hause. Aber vielleicht mag Hanna.« Und schon kramt sie ihre Geldbörse heraus, legt das Geld auf den Tisch.
Hanna versteht nun überhaupt nichts mehr: Wollte Sandra sich nicht für Ronni einsetzen, wollte sie ihn denn nicht treffen? Doch bevor sie überhaupt etwas sagen kann, ist Sandra schon zur Tür hinaus.
Sandra rennt, als würde sie verfolgt. Genauso, wie sie vor wenigen Tagen zu Ronni gerannt ist, so läuft sie jetzt davon. Erst kurz vor der Oberländer Straße verringert sie das Tempo und bleibt schließlich stehen. »Au, Mensch, Mist. Ich Idiot!« Sie schlägt sich mit der Hand an die Stirn, lehnt sich erschöpft gegen eine Mauer. Dann geht sie weiter. Warum ist das alles bloß so kompliziert? Die Frage hämmert in ihrem Kopf, aber Sandra hat keine Antwort darauf.
Zu Hause wirft sie sich aufs Sofa. Die Eltern sind nicht da, sie kann sich richtig gehenlassen. Sie holt sich etwas zu trinken. Eifersucht überfällt sie: Hanna ist jetzt dort, wo sie eigentlich sein wollte. Sandra läuft durch die ganze Wohnung, sie dreht sich im Kreis. Sie weiß, daß es keinen Grund dafür gibt, aber dieses Wissen erreicht ihre Gefühle nicht - die Eifersucht nagt und wächst.
Sandra leidet um so mehr, als sie es nicht fertigbringt, mit Hanna mal ganz offen zu reden. Dabei hat sie bisher mit Hanna
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