Und fuehre uns in die Versuchung
schweben.
Jetzt war es definitiv so weit: Jeder Schritt, den er in Richtung Redhaus tat, brachte ihn ein Stück weiter aus diesem Leben. Zu Mathilda, zum Glück, zu Heussgen und zu neuen Ufern. Aber eben auch weg von allem, was ihn all die Jahre ausgemacht hatte.
Vorher sollte er eine Frau aus dem Kerker und von ihrem Leiden befreien, die nicht würde befreit werden wollen. Wäre es seine Pflicht, sie anzulügen? Wäre es gnädig? Sie unter falschen Annahmen zu ihrem Glück zu zwingen, welches ihr erst einmal als reines Unglück erscheinen würde ?
Oder andersherum: Hatte er das Recht, sie mit der Wahrheit zu konfrontieren? Für sie zu entscheiden, dass sie die Entscheidung hatte? In diesem Falle würde er Engelszungen brauchen, und selbst dann stand der Erfolg seiner Mission in den Sternen.
Zudem musste er sich an der Pforte auf den Einsatz der unzuverlässigsten Frau verlassen, die er kannte. Würde Elisabeth ihn versetzen? Wenn er bereits beim Eindringen in den Frauenkonvent Gewalt anwenden müsste, würde ihm nicht genug Zeit bleiben, zuerst Katharina zu holen. Ganz davon abgesehen, dass er sich seine Person sehr ungern als wahnsinnig die Streitaxt schwingenden Entführer vorstellen mochte, der eine Nonne aus den Händen ihrer Mitschwestern riss. Nein, es wäre eindeutig besser, wenn Elisabeth ihn heimlich hineinließe.
Mit klammen Beinen erreichte er ohne Zwischenfälle den Haupteingang des Männerkonvents. Den Impuls, immer wieder um sich zu blicken, mühsam unterdrückend, nestelte er erst jetzt den Schlüssel heraus, schloss hastig auf und hinter sich wieder zu – geschafft! Die nächste Etappe zum Redhaus war sehr viel gefahrloser. Von dort zur Frauenpforte schließlich absolut sicher. Und wenn er erst einmal an der Pforte angekommen wäre – konnte er wirklich nur noch warten.
Schon einige Male hatte er sich auf die Stufen gesetzt, um dann lieber wieder aufzustehen und ein paar Schritte zu machen, doch noch ehe so viel Zeit vergangen war, dass er hätte beginnen müssen, sich Sorgen zu machen, schreckte ihn das Geräusch des Schlüssels im Schloss hinter sich auf die Füße. Elisabeth war gekommen, wie sie es versprochen hatte. Rasch schlüpfte er durch den ihm dargebotenen Türspalt.
Elisabeth sah ihn nicht an. Wandte sich wortlos um und ging voran. Links durch eine Tür in ein Treppenhaus, hinunter in den Keller, einen gerade sich anschließenden Gang entlang. Das alles, ohne Arno zu beachten, als ob er Luft wäre. Nun, sie übertrat die Klosterregeln in einem Maße, welches ihr niemand zugetraut hätte – wohl am allerwenigsten sie selbst. Und sie tat es, um die Frau, die sie liebte, endlich und endgültig zu verlieren. Hasste sich gewiss schon jetzt dafür. Um es trotzdem zu tun. Er seufzte.
Der Weg war einfach zu merken, er hatte schon vorher gewusst, dass sich der Kerker des Frauenklosters im Keller an der Nordwand des Innenhofs befand. Den Rückweg würde er ohne Probleme finden.
Da. Nur eine einzige Tür in der Wand zur Linken. Stumm reichte Elisabeth ihm ihre Lampe, auch dabei die Augen strikt gesenkt – dann machte sie kehrt und verschwand ohne ein Wort in der Dunkelheit.
Krach. Irgendwie musste sie Krach machen. Mathilda hatte sich den ganzen Tag den Kopf darüber zerbrochen. Laut sollte es heute während des Kapitels sein, damit Arno unten im Kerker unauffällig die Tür einschlagen konnte.
Obwohl Schwester Ammelßperger ihr einen auffordernden Blick sandte und neben sich deutete, setzte sich Mathilda auf ihren eigenen Platz. Nein, sie würde nicht aufrücken und damit so tun, als hätte es Katharina nie gegeben.
Sie wartete genau so lange, bis sich Mutter Örtlerin erhob, das Glöckchen in der Hand, mit dem sie das Kapitel einzuläuten pflegte. Dann sprang sie auf: „Ich habe eine Anklage vorzubringen.“
Hatte sie nicht, und bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal eine Idee, wenn sie weswegen anklagen sollte. Aber das einzige, was ihr für ein 'lautes' Kapitel eingefallen war, war Rebellion.
Irritiert sah Mutter Örtlerin sie an. „Mathilda, lass uns das normale Procedere einhalten.“
Was Gebete und stille Ansagen vor die Anklage schieben würde. Alles viel zu leise.
„Nein“, weigerte sich Mathilda deshalb. „Es ist wirklich dringend.“
Wirklich dringend war im Moment nur, endlich eine Person und einen Grund zu finden. Hektisch sah sich Mathilda um. Wer?
Aber ja, die Schönin! Die ihrerseits aufgeregt umher sah. Die würde richtig schön keifen, wenn sie,
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