Und fuehre uns in die Versuchung
darauf folgt die Phase der gemeinsamen Rekreation. Hier darf sich unterhalten, wer will.“ Sie hob die Augenbrauen und fügte mahnend hinzu: „Aber nicht plaudern. Nach Sexta beginnt die Nachmittagsarbeit, nur unterbrochen von Nona. Anschließend findet das tägliche Kapitel und danach Vesper im Frauenchor statt. Darauf folgt Abendessen. Komplet beschließt unseren Tag. Danach ist Nachtsilentium und wir gehen in unsere Kammern. Dort kannst du dich besinnen und beten, bis du schlafen gehst.“
Beten, beten, beten, arbeiten und zwei Mahlzeiten am Tag. Das also bedeutete Klosterleben. Mathilda musste an sich halten, ihren Unwillen nicht zu sehr zu zeigen. Sie holte tief Luft und schluckte die Bemerkung hinunter, die ihr auf der Zunge gelegen hatte. Hatte sie sich nicht vorgenommen, positiv zu bleiben? Beten und arbeiten, daran - konnte sie sich sicherlich gewöhnen.
„Wo ist denn dieser Frauenchor, wo gebetet wird?“ Darunter konnte sie sich gar nichts vorstellen.
„Alle Horen und die Messe beten wir dort“, kam die dürftige Antwort. „Nur während Tertia und Nona können wir an unseren Arbeitsplätzen verbleiben und in der kleineren Gemeinschaft dort beten.“
Mathilda nickte, ohne genauer im Bilde zu sein. Sicher war sie nur, angesichts sieben Gebetsstunden pro Tag würde sich ihre Unwissenheit rasch geben. Für heute standen immerhin noch Vesper und Komplet an.
„Wir sind da“, sagte Schwester Jordanin plötzlich und drückte eine Türe auf. „Deine Kammer.“
Mathilda brauchte nur einen Moment, bis sie alles gesehen hatte. Bett, Kommode, Kniebank, Kruzifix. Mehr hätte in dem schmalen Raum auch gar nicht Platz gehabt. An der Stirnseite war ein schmales Fenster, um einiges über ihrer Kopfhöhe gelegen. Wahrscheinlich sollte nicht einmal der Blick ins Freie vom Beten ablenken. Mit Wohlwollen registrierte sie, dass ihre beiden Reisekästen bereits in das Zimmer gebracht worden waren. Fein säuberlich waren sie neben dem Bett abgestellt.
„Worauf wartest du noch?“, wurde Mathilda aus ihren Gedanken geholt. „Kleide dich um, damit ich dich zur Beichte bringen kann. Pater Palgmacher wird schon im Beichtstuhl auf dich warten. Danach gibt es Abendessen.“
Mit flinken Fingern öffnete Schwester Jordanin die Bänder, die Mathildas Kleid auf dem Rücken verschlossen, und half ihr, es über den Kopf zu ziehen.
Mathilda, nur noch im Unterkleid, beugte sich zur Kleiderkiste mit den Ordensgewändern, öffnete sie und holte eine der extra für sie angefertigten Kutten hervor.
„Wo ist das Skapulier?“, fragte Schwester Jordanin, nachdem Mathilda in das unansehnliche Gewand geschlüpft war.
„Muss das sein?“, fragte sie. Dass sie es hässlich fand, sagte sie lieber nicht.
Umso erstaunter war sie, als Schwester Jordanin genau auf ihren unausgesprochenen Vorwurf reagierte.
„Keine Eitelkeiten“, kam sofort die Ermahnung. „Rock, Gürtel und Skapulier sollen dich nicht vorteilhaft, lediglich gottesfürchtig kleiden.“
Schweren Herzens schlüpfte Mathilda in den breiten Überwurf, der nun endgültig verbarg, dass sie jung, hübsch und eine Frau war. Sie seufzte vernehmlich.
„Fertig“, kommentierte Schwester Jordanin ungerührt und musterte Mathilda prüfend. „Mutter Örtlerin wird hinsichtlich des Schleiers sicher noch eine Entscheidung treffen. Lass uns gehen.“ Ihre Augen blieben an Mathildas Zopf hängen, der jetzt wieder auf ihrem Rücken baumelte, während sie schnellen Schrittes den Korridor entlangeilten. „Fürs Erste mag es so gehen.“
Die Frage nach dem Frauenchor wurde Mathilda mit Eintritt in die Kirche beantwortet. Sie befanden sich nicht unten im Kirchraum, sondern auf einem Balkon, zwei Stockwerke über dem Mittelschiff. Direkt vor ihnen war eine nach allen Seiten nur durch Fenster verbundene Zwischendecke eingezogen – der Frauenchor. Doch der war jetzt nicht ihr Ziel. Schwester Jordanin führte Mathilda den langen Balkon entlang, bis über den Haupteingang der Kirche. Dort befand sich eine steile Treppe, die sie hinabstiegen. Durch das menschenleere breite Hauptschiff ging es, vorbei an den Seitenaltären, hinter denen sich der Raum verjüngte. Hier, vor dem Altarraum, standen einige Bänke. Verstohlen sah sich Mathilda um. Die Kirche war groß, mit hoch sitzenden und recht kleinen, in düsteren Farben verglasten Fenstern. Das Licht, das hereinfiel, reichte zur Orientierung aus, nicht aber, um die Kirche in ihrer Gesamtheit in sich aufnehmen zu können. Auf dem
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