Und fuehre uns in die Versuchung
anleiten, unterweisen und dir in allen Fällen von Belang behilflich sein. Bei Fragen wendest du dich ausschließlich nur an sie“, fuhr die Äbtissin fort und nickte in Richtung der Nonne, die Mathilda hierher geleitet hatte. „Darüber hinaus ist es ab jetzt deine Aufgabe, vollständig zu schweigen, es sei denn, du wirst von einer der Chorfrauen etwas gefragt. Ihnen schuldest du Rede und Antwort.“ Begleitend zu ihren Worten zog sie wieder ihre rechte Hand unter der Kutte hervor und deutete auf die Schwarzschleier.
Das waren also die Chorfrauen, ein Rang, der Frauen von Adel oder zumindest gehobenem Bürgertum vorbehalten war. Mathilda wusste, dass sie nach ihrer Weihe zu ihnen gehören würde. Chorfrauen stickten und nähten Feinwerk, arbeiteten in der Schreibstube und übersetzten Schriften und Briefe aus dem Lateinischen ins Deutsche. Nur sie konnten höhere Ämter im Kloster bekleiden, ausschließlich aus ihren Reihen entstammten Äbtissinnen und Priorinnen. Chorfrauen verließen das Kloster unter gar keinen Umständen jemals mehr wieder, wenn sie sich nach der ewigen Profess endgültig gebunden hatten.
Dass die Hand der Äbtissin erlösend nach oben gewunken hatte, hätte Mathilda, in ihre eigenen Gedanken versunken, beinahe übersehen. Das gleichzeitig einsetzende Stoffgeraschel jedoch ließ sie gerade noch rechtzeitig hochschrecken. Die Nonnen ringsum hatten sich bereits erhoben und huschten schweigend und nur leise trappelnd aus dem Saal.
Mathilda kam auf die Beine und streckte ihre steifen Knie. Welch eine Wohltat! Hatte sie jemals schon so viel Zeit darauf verbracht?
Ein leiser Hauch von Kampfer streifte ihre Nase, als die Äbtissin an ihr vorbei schritt. Sie sah ihr hinterher. Die Frau war nicht groß, kleiner als sie. Für ihre Begriffe war sie alt, wenngleich noch nicht uralt. Mathilda kam ihre ehemalige Gouvernante in den Sinn. Die war seit ihrer Jugend, von der Mathildas Schwester stets sagte, dass sie schon lange zurückliegen müsse, Lehrerin bei den Grafenkindern in Gut Niederhof gewesen. Das Aussehen der Äbtissin erinnerte Mathilda an die gutmütige Freiin. Wie alt mochte die inzwischen sein? Bestimmt über fünfzig Jahre. Jetzt, da mit Mathilda der letzte Finkenschlag-Spross das Haus verlassen hatte, konnte sie sich aufs wohlverdiente Altenteil zurückziehen.
„Worauf wartest du noch?“, wurde sie von hinten gemahnt.
Schwester Jordanin hatte in stummer Anklage die Augenbrauen gehoben. „Da ich offiziell deine Postulatsbegleiterin bin, können wir jederzeit miteinander sprechen“, sagte sie, fügte dann aber schnell hinzu: „Außer natürlich während der Andachten und der Messe.“ Sie wies mit der Hand auf die Türe. „Dies ist der Kapitelsaal. Hier treffen wir uns jeden Nachmittag nach der Arbeit, hier werden die Dinge des Tages besprochen, Verfehlungen gestanden und gesühnt.“
Mathilda warf ihr einen erstaunten Blick zu. Was meinte die Schwester damit? Doch ehe sie nachfragen konnte, hatten sie die Türe erreicht und traten in den Korridor hinaus.
„Ich bringe dich jetzt in deine Kammer. Dort wirst du dich umkleiden.“ Dabei warf sie Mathilda einen langen Blick zu.
„Kann ich nicht so bleiben?“, fragte sie, die ohnedies ihr langweiligstes Kleid trug, von fader Farbe und ohne jede Verzierung. Wenn sie allerdings die Kutten betrachtete, in denen die Nonnen hier herumliefen – dagegen war ihr Gewand wunderschön.
„Es ist unziemlich“, wurde ihr Ansinnen dann auch brüsk zurückgewiesen. „Du wirst es an mich übergeben. Ich sorge dafür, dass es an arme Weltliche weitergeleitet wird. Du benötigst es nicht mehr.“
Mathilda biss sich auf die Lippen und schluckte den sich in ihr regenden Widerspruch hinunter. Welche Illusion hatte sie nur dazu gebracht, anzunehmen, sie könnte während des Postulats vielleicht noch dieses eine Kleid behalten? Mehr hatte sie ja ohnedies nicht im Gepäck, wäre also sehr schnell auf die Ordenstracht angewiesen, so scheußlich die auch sein mochte. Ob sie darum bitten konnte, es als Erinnerung behalten zu dürfen? Doch sie entschied, das lieber zu lassen. Die Nonne hier wirkte ohnedies schon schlecht gelaunt genug.
Trug sie die Schuld daran? Hatte sie etwas falsch gemacht oder sich zu dumm angestellt? Oder war es nur die Tatsache, dass Schwester Jordanin keine Lust verspürte, sich um sie zu kümmern?
„Nach dem Umkleiden bringe ich dich in die Kirche“, fuhr diefort und unterbrach damit Mathildas Gedanken. „Dort hast du die
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