Und fuehre uns in die Versuchung
Demut bei der Äbtissin. Mathilda tröstete sich damit, dass es wenigstens keine Zuschauer geben würde – oder nur einen, falls diese Nonne hier dabei sein sollte. Sie nickte, das würde sie schon hinkriegen.
Die Tür schwang auf – und Mathilda wurde augenblicklich klar, dass sie sich gewaltig getäuscht hatte. Dies hier war keineswegs das Zimmer der Äbtissin, dies hier war ein riesiger Saal. Und er war voller Nonnen. Schweigender, bewegungsloser Nonnen, die ihre Hände sittsam unter ihrer Kutte verborgen hatten, auf Bänken saßen – und ihr ausnahmslos entgegensahen. Ihr sank der Mut. Am liebsten wäre sie umgekehrt. Doch da wurde schon die Türe hinter ihr geschlossen.
„Vorwärts“, raunte die Stimme ihrer Begleiterin, lief dann rasch an ihr vorbei, huschte über den hellgrauen Steinboden auf einen freien Platz an der langen Wand. Alle Nonnen dort waren schwarz beschleiert und trugen diese seltsamen Kronen. Die Nonnen mit den weißen Schleiern saßen aufgeteilt an den beiden kurzen Seiten, rahmten die Schwarzschleier damit ein. An der vierten Wand gab es keine Bänke. Dort konnte Mathilda einen schlichten Altar sehen, mit Holzkreuz und Kerzen geschmückt. Nicht weit daneben befand sich ein riesiger, weiß gekalkter Kamin, in dem ein Feuer prasselte. Die Wände ringsum waren ebenfalls gekalkt, allerdings bis auf Kopfhöhe dunkel vertäfelt.
So gleich alle Nonnen auch aussahen, die Äbtissin zu erkennen, stellte keinerlei Problem dar. Die saß nämlich inmitten des Saales, den Nonnen zugewandt, auf einem eigenen, größeren Stuhl, einer Art schlichten Throns. Auch sie blickte Mathilda ohne äußere Regung stumm entgegen.
Die wurde immer nervöser. Sollte sie etwas sagen? Oder einfach nach vorn treten und niederknien? Sollte sie grüßen? Immerhin kam sie zum ersten Mal hierher. Aber wie? Ein weltliches 'Grüß Gott' war hier sicher nicht angebracht. Eher das, was ihr zur Begrüßung gesagt worden war.
„Ave Maria“, brachte sie deshalb mit zittriger Stimme vor und trat ein Stück in den Raum hinein.
Immerhin nickte die Äbtissin. Mathilda hatte es also richtig gemacht. Und so kam sie noch ein paar Schritte näher. Eine ihr plötzlich entgegengehobene Hand ließ sie abrupt anhalten und sich augenblicklich hinknien, als diese langsam und bedeutungsvoll gesenkt wurde.
„In nomine patris et filii et spiritus sancti“, sagte die Äbtissin leise und bekreuzigte sich dabei.
Hastig tat Mathilda es ihr gleich und zuckte zusammen, als ein vielstimmiges Amen vom Saalrand ertönte. Dann jedoch war es wieder still.
Mathilda wartete mit, wie sie hoffte, ausreichend demütig gesenktem Kopf. Den Impuls, nach ihrem Zopf zu fassen und daran herumzunesteln, wie sie es immer tat, wenn sie angespannt war, unterdrückte sie geflissentlich. In ihrem Bemühen, sich keine Geste der Äbtissin entgehen zu lassen, die ja ein Signal für sie darstellen konnte, schielte sie durch ihre Wimpern nach oben.
„Es ist in unserem Orden unüblich, Postulat und Noviziat im Konvent zu verbringen. Die Kandidatinnen bleiben in dieser Phase für gewöhnlich im Elternhaus“, sagte diese und steckte ihre Hand wieder unter die Kutte. „Sie kommen alle drei Monate hierher, um sich einer Gewissens- und Eignungsprüfung zu unterziehen. Mathilda Finkenschlag, du bist noch sehr jung, aber in deinem Fall sind wir bereit, eine Ausnahme zu machen - deinem kranken Vater zuliebe. Du wirst also deine Kandidatur hier im Konvent verbringen. Bist du dir dieser besonderen Situation bewusst?“
Eine Pause entstand.
Mathilda, die gerade überlegte, was der Grund dafür sein könnte, fuhr zusammen: Ihr war eine Frage gestellt worden, die sie zu beantworten hatte. Hastig hob sie den Kopf und sah der Äbtissin, die sie ihrerseits erwartungsvoll betrachtete, in die grauen Augen.
„Ja.“
„Das heißt aber nicht, dass wir ansonsten vom normalen Weg abweichen und die üblichen Rituale außer Acht lassen“, fuhr die Äbtissin fort. „Für heute jedoch soll es genügen, dich einzukleiden und einzuweisen in die grundlegenden Klosterangelegenheiten. In einer Woche erfolgt dann die erste Befragung. Du wirst Gelegenheit bekommen, dich darauf vorzubereiten.“
Mathilda blieb stumm, nickte nur. Vater Sigismund hatte ihr eine Menge Anweisungen gegeben. Ob die auch diese Befragung betrafen, konnte sie nicht sagen. Zumindest waren die Worte der Äbtissin dahingehend beruhigend, dass sie sich noch vorbereiten konnte.
„Schwester Jordanin wird dich
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