Und führe uns nicht in Versuchung
dankbar waren sie auch, müßten sie jedenfalls gewesen sein. Keiner mußte es bedauern, in sein Team aufgenommen zu werden. Onkel Steffen handelte für alle Sonderkonditionen aus. Auch ein alter Schulfreund von mir hat einmal für ihn gearbeitet. Der hat mir erzählt, wie mein Onkel als Chef so war.» Christians Stimme hatte zuletzt richtig stolz geklungen. Aber resigniert fuhr er fort: «Nur wer seinen Ansprüchen nicht genügte oder zurückfiel, der wurde erbarmungslos ausgeschlossen, da kannte er keine Sentimentalitäten. Mit mir hat er immerhin noch gesprochen, nachdem ich bei Kalldewei angefangen habe. Allerdings nur noch selten, es war schon klar, daß er jede Hoffnung aufgegeben hatte, aus mir das zu formen, was er sich vorgestellt hatte.»
Nachdenklich blickte Susanne auf Christian. Sein weiches Gesicht sprach Bände, das war gewiß nicht der Mann, den sich Steffen Vogel als Neffen gewünscht hatte. Seine Förderungspläne waren viel zu schonungslos für den Jungen gewesen. Und doch – da war ja auch viel Interesse von seiner Seite aus, er hatte Zeit mit seinem Neffen verbracht, hatte sich überlegt, was nützlich für ihn wäre. Vielleicht täte es Christian gut, auch das Positive in der Beziehung zu seinem Onkel wahrzunehmen. «An welche Erlebnisse mit Ihrem Onkel denken Sie denn gerne zurück?» fragte sie deshalb. Christian überlegte. Dann stiegen ihm wieder Tränen in die Augen. «Ich weiß noch, wie wir im Frankfurter Zoo waren und im Senckenbergmuseum, überhaupt, die Museen, in die er mich geschleppt hat, erst war das ja langweilig, Städel, Neue und Alte Pinakothek, Ausstellungen im Grand Palais in Paris, aber ich fand es schließlich richtig aufregend, und heute gehe ich als erstes ins Museum, wenn ich eine Stadt besichtige. Überhaupt die Reisen, die er mit mir unternommen hat, das war schon toll.» Christian weinte jetzt wieder laut, aber es klang nicht mehr so verzweifelt wie zu Beginn des Gesprächs. Und er fand auch schneller seine Fassung zurück, um eifrig weiter zu erzählen: «Ganz besonders aufregend fand ich es, als er mit mir nach Südostasien geflo gen ist. Natürlich hatte das Bildungsgründe, wir haben keinen einzigen Tag am Strand gelegen, sondern sind von Tempel zu Tempel gefahren.» Christian ahmte offenbar die belehrende Stimme seines Onkels nach: «Wehe, wenn ich abends im Hotel nicht die unterschiedlichen buddhistischen Strömungen fehlerfrei aufsagen konnte oder etwas von dem vergessen hatte, was der Führer uns erläutert hatte.» Dann gewann die Begeisterung über die Reise wieder die Oberhand und er sprach mit seiner eigenen Stimme weiter. «Wir haben die Stätten des Vietnamkriegs besichtigt und Angkor Wat besucht. Noch nie habe ich eine großartigere Anlage gesehen. Ich weiß nicht, wie es heute dort ist, bestimmt ziemlich touristisch. Wir waren ja Pioniere auf dieser Reise, es war kurz nach dem Ende des Pol-PotRegimes, man wurde mit bewaffneten Autos zu den Sehenswürdigkeiten gefahren, weil überall noch versprengte Rebelleneinheiten lauerten. Auf dieser Reise ist seine Faszination für Asien geboren worden.» Christian wurde nachdenklich. «Allerdings nicht in Kambodscha, da waren die Menschen deprimiert, fast dumpf, das Pol-PotRegime hatte die Seelen der Kambodschaner zerstört. Das waren keine Leute für Onkel Steffen, da fand er nichts zu entdecken. Nein, es war vorher, in Vietnam. Wir saßen auf dem Dach irgendeines Traditionshotels mit Blick auf den Mekong, während des Vietnamkriegs war es ein Treffpunkt aller Journalisten, den Namen habe ich vergessen. Aber ich weiß noch genau: Irgendwann sagte er: ‹Es ist unglaublich beeindruckend, daß es diesem kleinen Volk gelungen ist, sich zu wehren, ja zu siegen. Alle Bomben, die die Amerikaner geworfen haben, konnten dieses Volk nicht zerstören.› Er hatte ja immer ein Gespür für Begabungen, und er fand die Vietnamesen einfach talentiert. Fleißig, intelligent und zäh – das imponierte ihm. Er ist dann später noch oft in die Gegend geflogen, schließlich meistens nach Thailand. Ja, und merkwürdig», Christian Vogel hielt einen Moment inne, «er hat mir vor einem Jahr etwas erzählt, das eigentlich gar nicht zu ihm paßte. Onkel Steffen sagte: ‹Das Wunderbare ist: die Menschen in Thailand wollen mit dem Herzen fühlen, was sich ein anderer Mensch wünscht, und sie versuchen dann, ihm diesen Wunsch zu erfüllen.›» Er runzelte die Stirn. «Das paßte wirklich gar nicht zu ihm.» Susanne blickte ihn
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