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Und führe uns nicht in Versuchung

Und führe uns nicht in Versuchung

Titel: Und führe uns nicht in Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Bleibtreu
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Kirchenraum und Schritte näherten sich der Seitenkapelle. Susanne stand auf und blieb verblüfft stehen. Dem Mann, der gerade in die Kapelle kam, ging es nicht anders. «Sie?» fragten beide wie aus einem Mund. «Frau Hertz!» stellte Ingo Bauernberg fest, und es klang fast erleichtert. «Ich wußte gar nicht, daß Sie hier sind.» «Sie sind wegen eines Beichtgesprächs gekommen?» fragte Susanne. Bauernberg zögerte. «Ja, in der Tat. Ich dachte, ich könnte das anonym machen. Aber so ist es mir vielleicht sogar lieber.» Susanne wies mit der Hand auf zwei Stühle, die in der Kapelle standen. «Setzen wir uns doch, Herr Bauernberg. Ich weiß, wer Sie sind, weil ich ihr Foto oft in den Fachzeitschriften gesehen habe, die mein Freund Jens Maistrom abonniert hat. Und dann habe ich Sie auf der Beerdigung von Steffen Vogel gesehen.» Bauernberg sackte etwas auf seinem Stuhl zusammen, dann straffte er sich. «Ja, Vogel ist auch der Grund, warum ich gekommen bin.» Er stockte. Susanne wurde es ganz heiß und kalt. Würde ihr Bauernberg jetzt den Mord an Steffen Vogel gestehen, hier, mitten in der St. Johanniskirche? Susanne schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Bauernberg zögerte noch etwas, dann holte er tief Atem. «Ich möchte beichten, Sie stehen doch unter Schweigepflicht, oder?» Susanne nickte. «Ja, was Sie mir anvertrauen, darf ich nicht weitergeben, ich darf auch nicht dazu gezwungen werden.» Bauernberg nickte wie zur Bestätigung. «Das ist gut. Das ist gut.» Wieder holte er tief Luft. Dann sagte er entschlossen: «Ich habe ihn zusammengeschlagen. Ich habe Steffen Vogel zusammengeschlagen. Ich habe ihn ziemlich übel zugerichtet. Geschont habe ich ihn nicht, er sollte spüren, wie wütend ich auf ihn war. Eine ganze Zeit habe ich das richtig gut gefunden. Einer mußte es diesem Mann ja mal zeigen. Aber seit Ihrer Beerdigungsansprache habe ich keine ruhige Minute mehr gehabt. Es quält mich richtig, ich schlafe schlecht, habe Alpträume, kann kaum noch arbeiten. Meine Frau meint, ich solle mal zum Arzt. Aber ich weiß, das, woran ich leide, das kann kein Arzt heilen. Deshalb bin ich heute gekommen.» Bauernberg schwieg erschöpft nach dieser langen Rede. Dann schaute er Susanne fest an. «Was genau quält Sie so?» fragte Susanne sanft. Bauernberg verschränkte die Hände. Die Knöchel traten weiß hervor. «Ich habe ihn geschlagen. Ich habe einfach draufgehauen, es muß ihm unglaublich weh getan haben. Aber er hat nur gelächelt, die ganze Zeit, obwohl er Schmerzen gehabt haben muß. Dieses merkwürdige Lächeln blieb auf seinem Gesicht. Es hat mich rasend gemacht. Ich schlug, er lächelte. Ich glaube, ich hätte ihn totgeschlagen, wenn nicht plötzlich in der Nähe Schritte zu hören gewesen waren. Das brachte mich zur Besinnung, ich glaube, das hat ihm auch das Leben gerettet.» Bauernberg stockte. «Wenn auch nicht lange das Leben gerettet.» Er schaute Susanne offen ins Gesicht. «Ich habe ihn nämlich nicht umgebracht. Das war ich nicht. Ich … ich habe ihn geschlagen, das Schlimme ist eben, daß ich eine ganze Zeit richtig stolz darauf war. Das bin ich nicht mehr, nicht mehr seit der Trauerfeier. Seitdem schäme ich mich so. Ich schäme mich.»
    Susanne schaute Bauernberg nur ruhig an, sie ließ ihm Zeit, wieder Luft zu holen. «Warum schämen Sie sich?» Bauernberg atmete wieder tief ein. «Ich bin ein cholerischer Typ. Das ist vielleicht eine Entschuldigung. Und wenn ihn nicht jemand anders umgebracht hätte, dann würde ich vielleicht sogar immer noch stolz drauf sein, daß ich es ihm mal richtig gezeigt habe. Seit Ihrer Ansprache, da quält mich …», Bauernberg holte wieder tief Luft, «da quält mich, daß ich einem Menschen die letzten Tage sei nes Lebens mit Schmerzen verdüstert habe. Er hatte doch nur noch wenige Tage zu leben, und diese Zeit habe ich ihm durch meine Schläge schwer gemacht. Das quält mich. Vor allem, weil Sie erzählt haben, daß er sein Leben ändern wollte. Er wollte sich ändern, und ich gebe ihm dafür eine Tracht Prügel. Das ist doch gemein. Ich meine, es war nicht in Ordnung, was er getan hat, es war ungerecht, so über die Goldene Gans zu schreiben, aber inzwischen weiß ich, daß mir das nicht das Recht gegeben hat, ihn zu schlagen. Und mit jedem Schlag …» – jetzt schluchzte Bauernberg richtig auf – «habe ich mich im Grunde selbst geschlagen. Seit dieser Trauerfeier schlage ich mich selbst, glauben Sie das? Es klingt so absurd, aber ich stehe vor dem

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