Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)
Sie alles haben.»
Das ungläubige Schweigen hält noch eine kurze Weile an.
«Sehr gern», antwortet dann der Sprecher der drei und zeigt hocherfreut seine Goldzähne.
In der Küche treffe ich Abel. Er hat drei große Pappkisten aufgetrieben und prall mit Lebensmitteln gefüllt. Auf den ersten Blick ist klar, dass der Inhalt der Kisten unmöglich im Kühlschrank gewesen sein kann. Das ist rein physikalisch ein Ding der Unmöglichkeit.
Abel bemerkt meine Verwunderung. Rasch schließt er die Kühlschranktür. «Du kannst das nicht wissen, aber die drei müssen zusammen über zwanzig Leute versorgen», erklärt er. «Das hier reicht für die Feiertage. Dann müssen sie nicht noch mal raus bei dem Sauwetter.»
«Na ja. Ist ja schließlich Weihnachten», erwidere ich, als wäre das ein Freibrief für wundersame Essensvermehrungen außer der Reihe. Was ich eigentlich meine, ist: Ich werde mir an Heiligabend nicht darüber den Kopf zerbrechen, wie Abel jetzt schon wieder die Sache mit den Lebensmitteln gedeichselt hat. Das muss Zeit haben bis morgen.
«Genau», sagt Abel beschwingt.
Als wir den Musikern die Kisten reichen, lasse ich meinen Blick über die Lebensmittel wandern und stelle fest, dass noch etwas fehlt: der Wein, den Mutter gekauft hat.
«Moment», sage ich und verschwinde nochmals in der Küche.
Als ich dem Sprecher zwei Flaschen in die Lebensmittelkiste lege, wirft der einen Blick darauf und nickt anerkennend. «Oh. Ein Pouilly-Fuissé. Toller Wein, vielleicht ein bisschen überteuert, verglichen mit einigen anderen nicht ganz so berühmten Burgundern. Aber trotzdem, ich bin beeindruckt.»
Ich ebenfalls. Es wundert mich, dass ein Straßenmusiker mit abgewetztem Mantel ein solcher Weinkenner ist.
Er sieht mir an, was ich denke. «Wir haben nicht immer auf der Straße gespielt», sagt er. «Als es den eisernen Vorhang noch gab, da waren wir in den Konzertsälen Osteuropas bekannt wie bunte Hunde. Ein paar Jahre lang haben wir gelebt wie die Könige.» Ein letztes Mal lässt er die Goldzähne blitzen. «Tja. So ändern sich die Zeiten. Frohe Weihnachten.»
«Frohe Weihnachten», wünsche ich.
Gemächlich und zufrieden ziehen die drei mit ihren Gaben davon.
«Das hast du arrangiert», sage ich zu Abel, als wir wenig später im Wohnzimmer bei schwerem Wein, edlem Käse und John Hustons bescheuertem Bibelfilm zusammensitzen.
Abel schüttelt den Kopf. «Nein. Ausnahmsweise nicht.»
Ich nippe an meinem Wein und schweige. Unauffällig beobachte ich, wie mein Patient das Abendprogramm genießt. Er hat es sich an seinem Ende des Sofas bequem gemacht. Die Füße liegen auf einem Hocker, die Hände sind vor dem Bauch gefaltet. Den Wein hat er auf einem Beistelltisch geparkt. Der Film amüsiert ihn sichtlich.
Ich denke gerade, dass ich ihm gerne glauben würde. Ganz nebenbei hätte es wohl für uns beide Vorteile, wenn ich ihn für Gott hielte. Er wäre überzeugt, dass ich ihm helfen könnte. Und ich wäre im Handumdrehen ein religiöser Mensch. Plötzlich hätte ich nicht nur eine spirituelle Heimat, sondern auch eine klare Moral und als Zugabe eine daraus resultierende Lebensaufgabe. Als Diener Gottes würde ich mich dazu aufraffen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Klingt anstrengend, aber auch reizvoll.
«Woran denkst du gerade?», fragt Abel.
«An nichts», antworte ich ertappt.
Abel nickt zufrieden. «Das ist gut. Lass uns heute Abend einfach nur hier sitzen und nichts tun.»
Fast gleichzeitig schauen wir zum Fernseher. Noah steht gerade an der riesigen Eingangsluke seiner Arche und betrachtet die an ihm vorbeiziehenden Tiere. Er wirkt wie ein Türsteher, der den Überblick verloren hat.
Keine Ahnung, was einschläfernder ist: der Bordeaux meines Bruders oder der Bibelfilm von John Huston. Als ich die Augen aufschlage und ein anderes Programm läuft, weiß ich jedenfalls, dass ich eingenickt sein muss. Abel hat das gleiche Schicksal ereilt. Sein Kopf ist zur Seite gekippt und ruht nun auf der Sofalehne.
Der Raum ist überheizt. Ich öffne ein Fenster, um zu lüften, schließe es jedoch sofort wieder, weil mich klirrende Kälte anspringt. Die Außentemperatur ist binnen kürzester Zeit rapide abgesackt. Ich drehe die Heizung herunter, setze mich aufs Sofa, nehme einen Schluck Wein und zappe gelangweilt durch die Kanäle. Dabei fallen mir schon wieder die Augen zu.
Als ich aufwache, hat sich der Raum merklich abgekühlt. Abel schläft immer noch. Ich drehe die Heizung wieder hoch, dabei
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