Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)
fällt mein Blick zum Fernseher. Witzig, denke ich. Es läuft derselbe alte Film, den ich vor einer Weile nachts im Krankenhaus gesehen habe. Und wieder fällt mir der Titel nicht ein. James Stewart spielt einen verzweifelten Familienvater. Ein Engel soll ihn vor dem Selbstmord retten. Aber wie, zur Hölle, heißt denn nur dieser Film?
«It’s a wonderful life» , sagt Abel. Seine Augen sind immer noch geschlossen, aber offenbar ist er wach. «Der deutsche Titel lautet: Ist das Leben nicht schön? Ein typischer Capra aus den Vierzigern.»
«Ein … was?»
Er öffnet die Augen. «Frank Capra. So heißt der Regisseur.»
«Sagt mir nichts.»
« Arsen und Spitzenhäubchen ? Mit Cary Grant?»
«Ja. Der sagt mir was.»
«Den hat Capra auch gedreht», erwidert Abel.
«Ich bin beeindruckt. Du kennst dich wirklich gut aus.»
«Geht so», sagt Abel, reibt sich den Nacken und drückt das Kreuz durch.
Ich setze mich wieder. Es ist fast Mitternacht. Schweigend sehen wir zu, wie James Stewart mit seinem Schicksal hadert.
«Schon eine witzige Idee», bemerkt Abel nach einer Weile. «Ich glaube, dass es eine Menge Leute interessieren würde, wie die Welt wohl aussähe, wenn sie nie geboren wären.»
Nur langsam sickert der Satz in mein Bewusstsein. Dann durchzuckt mich ein verrückter Gedanke. Ich schaue Abel grübelnd an.
«Was ist? Was hast du?» Er fingert nach seinem Weinglas. «Habe ich was Falsches gesagt?» Gerade will er das Glas ansetzen, da hält er inne. «Nein! Das meinst du nicht ernst, oder?»
Ich nicke. «Doch. Könntest du es denn überhaupt?»
«Dir die Welt zeigen, wie sie aussähe, wenn du nie geboren wärst?»
Wieder nicke ich. «Genau das.»
«Ja. Das könnte ich tatsächlich. Aber bist du sicher, dass du das wissen willst? Was, wenn dein Leben beispielsweise bislang praktisch keinen nennenswerten Effekt hatte?»
«Damit rechne ich eigentlich», gebe ich zu. «Aber die Details würden mich trotzdem interessieren.»
«Vielleicht hatte dein Leben auch negative Konsequenzen. Niemand kann alle Folgen seiner Handlungen voraussehen. Das kann ja nicht mal ich. Wer weiß also, in welche Abgründe du blicken müsstest?»
Jetzt geht mir ein Licht auf. «Schon klar, Abel. Du willst dich drücken. Mir die Welt zu zeigen, wie sie aussähe, wenn ich nicht geboren wäre, ist nämlich mehr als ein Taschenspielertrick. Wahrscheinlich bräuchtest du eine ganze Weile, um eine so schwierige Nummer einzustudieren, richtig?»
Abel nimmt einen Schluck Wein. «Wenn man dich so hört, dann könnte man annehmen, dass es für dich ein Gottesbeweis wäre, wenn ich dir die Welt ohne Jakob Jakobi zeigen könnte.»
Ich überlege kurz und komme zu dem Schluss: Stimmt. Eine solch aberwitzige Erfahrung, wie James Stewart sie in diesem Film macht, muss einen von der Existenz eines höheren Wesens überzeugen. Wer selbst so etwas für Taschenspielerei hält, dem kann wohl auch der Himmel nicht mehr helfen. «Na ja», sage ich. «Es wäre jedenfalls nicht so leicht zu erklären wie deine anderen Zaubertricks.»
Abel lächelt. «Du würdest mir am Ende unserer Reise damit kommen, dass ich dich hypnotisiert, unter Drogen gesetzt oder sonst irgendwie ausgetrickst habe.»
«Schon möglich», sage ich. «Vielleicht wäre ich aber auch spontan überzeugt davon, dass du wirklich Gott bist.»
Abel überlegt, dann steht er auf. «Okay. Dann hoch mit dir!»
«Weshalb?», frage ich irritiert.
«Hat damit zu tun, dass in der Welt, in der Jakob Jakobi nicht existiert, an genau dieser Stelle kein Sofa steht.»
«Was?», frage ich lachend. «Was redest du da für einen Quatsch?»
«Das ist kein Quatsch», sagt Abel. «Ich klatsche jetzt in die Hände, und dann sind wir in jener Welt, in der du nie geboren wurdest. Aber du solltest wirklich überlegen, ob du nicht vorher besser aufstehen willst.»
Ich schaue ihn prüfend an und sehe, dass er es ernst meint.
«Okay», sage ich. «Ich möchte in der Tat gerne wissen, wie die Welt ohne mich aussähe. Aber ich werde hier sitzen bleiben.»
Abel nickt und klatscht in die Hände. Im nächsten Moment wird es schlagartig dunkel, und ich habe das Gefühl, jemand zieht mir mit einem Ruck das Sofa unter dem Körper weg. Ich lande mit dem Hintern auf dem Parkett und erschrecke ein wenig.
«Ich hab dich gewarnt», sagt Abel. «Aber die gute Nachricht lautet: In dieser Welt kannst du dir nichts brechen. Es gibt dich ja nicht.»
Verdutzt schaue ich mich um. Rasch gewöhnen sich meine Augen an
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