... und ich höre doch!: Ein technologisches Abenteuer zwischen Silicon Valley und den Alpen (German Edition)
schrie ich.
„Nee“, und Mitchie fuhr weg, so schnell er konnte.
Ich jagte ihm nach, aber ich war schon spät dran und musste alle Zeitungen noch vor Schulbeginn ausliefern. Mitchie blieb hartnäckig, stritt alles ab, und seine Freunde, Brüder und die anderen Zeitungsjungen der Mercury News deckten ihn. Auch wenn alle wussten, dass er der Täter war, gab es doch keinen konkreten Beweis, weil ihn ja niemand gesehen hatte.
Daraus habe ich wieder etwas gelernt. Mitchie war eigentlich ein netter Junge, der mich vermutlich nur nicht leiden konnte, oder es war eben nur ein Kinderstreich. Vielleicht war es auch ein Racheakt, weil mein Fußballteam seines geschlagen hatte oder so etwas in der Art; ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass dieser Diebstahl Mitchie viel mehr geschadet hat als mir. So wie ich das Stigma des Schwerhörigen tragen musste, gab er sich selbst jenes, ein Dieb zu sein. Und das blieb ihm bis heute. Ein gemeinsamer Freund seiner Brüder erzählte mir, dass er damit die letzten 30 Jahre gehänselt wurde und es wahrscheinlich noch weitere 30 Jahre hören wird. Es hat ihm wesentlich mehr geschadet als mir, denn eine einzige Dummheit kann den Ruf zerstören. Bis zu diesem Vorfall galt Mitchie als toller Skateboarder und allgemein cooler Typ. Danach begegneten ihm die Jugendlichen in Sunnyvale mit Vorsicht und Argwohn. Sollte das wer lesen, der Mitchie kennt, könnte er ihm ja vorschlagen, zehn oder 20 Fahrräder dem „Toys for Tots“-Programm zu spenden.
Mitchie hat das Rad möglicherweise aus Wut über ein verlorenes Fußballspiel gestohlen, aber ich vermute, es war eher aus Eifersucht wegen Kristi Michels. Kristi wohnte am Cascade Drive, zwei Häuserblöcke von 1526 entfernt, und sie war die beste erste Freundin, die man nur haben konnte. Mit zwölf, bei einem gemeinsamen Hot Fudge Sundae in Farrell‘s Eisgeschäft, für das ich mit meinem selbst verdienten Geld bezahlte, machten wir es offiziell: wir „gingen miteinander“.
Kristi war nicht nur das hübscheste Mädchen, sie war auch das erste Mädchen, das richtig Baseball in der Sunnyvale Serra Little League spielte. Vor Kristi durften Mädchen nicht mitspielen. Kristi durchbrach diese „Mädchen ausgeschlossen“-Barriere vor allen anderen Mädchen. Kristi und ich waren beide Pitcher, und wir waren wahrscheinlich eines der ersten, wenn nicht überhaupt das erste Pärchen, das jemals in gegnerischen Teams gegeneinander antrat. Kristi war auch viel besser als viele Jungen; wenn ich ehrlich bin, spielte sie auch besser Baseball als ich. Ich war ein besserer Pitcher, aber Kristi erzielte mehr Treffer. Ich war ein schnellerer Base-Läufer, aber Kristi war besser im Feld. Das machte mir nicht viel aus, da ich Baseball im Vergleich zu Fußball insgeheim für ein langweiliges Spiel hielt. Aber Kristi spielte auch bald Fußball.
Anders als die meisten Mädchen hatte Kristi eine sehr laute, volle Stimme, dazu ein breites Lächeln und tolle Lippen, die sich leicht lesen ließen. Sie war auch eine der wenigen, die wussten, wie schwer mein Hörverlust eigentlich war. Doch das störte sie nicht, sie dachte einfach, das sei schon in Ordnung so. Für mich war Kristi gerade in dieser wichtigen Phase eine große Stütze, denn seit ich in der Cupertino Junior High School war, wurde ich viel häufiger verspottet, nicht nur wegen meiner Taubheit, sondern auch wegen meines Nachnamens.
Es gab bestimmte Jungen, die es unglaublich witzig fanden, mich wegen meines Namens Ball aufzuziehen. Damals war Ball ein ziemlich schlimmes Wort in einem bestimmten Zusammenhang. Ich hatte schon früh beschlossen, dass ich keinerlei Spott wegen meines Gehörverlustes dulden würde. Wenn ich mich bloß umdrehte und wegginge, würde der Spott nur ärger. Daher war das absolut inakzeptabel. Jeder, der es versuchte, spürte sofort meine Faust im Gesicht. Mit der Zeit sprach sich das herum, sodass mich auch die größeren Kinder in Ruhe ließen. Ich dachte, selbst wenn ich geschlagen würde, könnte der Gegner auch nicht schmerzfrei nach Hause gehen.
Mit der Zeit gewann ich mehr Erfahrung im Pausenhofgeplänkel als die meisten, und die Situation entspannte sich. Ich war kein Fiesling, der nur auf eine Rauferei aus war. Aber ich hatte gelernt, dass Weglaufen, Ausweichen und die andere Wange hinhalten den Konflikt nur eskalieren ließen und ihn verlängerten. Es war für alle besser, das gleich zu unterbinden. Kristi hielt immer zu mir. Wir fuhren mit unseren Rädern durch ganz
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