Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
Vom Netzwerk:
erzählte sie. »Ich weiß nicht genau, ob ich überhaupt nach seinen Verletzungen gefragt habe und wo der Fahrer des Lasters jetzt ist und wie es ihm eigentlich geht und all das. Jetzt weiß ich, dass Tim an Ort und Stelle gestorben ist, dass er schon tot war, als der Krankenwagen kam, dass der Fahrer einen Schock hat und im Krankenhaus liegt, dass sie ihn besuchen gehen und – es ändert nichts.« Ihre Stimme war sehr leise, aber klar. Sie sprach auf einmal ruhig und ohne eine Regung, während ich das Gefühl hatte, meine Zunge würde immer größer und verstopfe meinen Rachen. »Sie sagten, ich könne vorbeikommen. Aber ich kann doch da nicht einfach hingehen und über Tim reden oder über das Wetter oder irgendwas.« – »Niemand sagt, dass du das sollst«, sagte ich. »Niemand verlangt das von dir. Es ist völlig okay.« Aber sie fiel mir fast ins Wort, wurde plötzlich auch lauter: »Aber was denken sie denn, wenn ich nicht komme? Dass es mich nicht interessiert? Dass sie mir egal sind?« Sie schluchzte und bekam einen Schluckauf vor Aufregung. Ich stoppte den Wagen an einer Nothaltebucht und nahm ihre kalten Hände in meine. »Sie wissen mit Sicherheit, dass es dir nicht egal ist.« Und wieder unterbrach Lene mich, sie sah plötzlich furchtbar aus, klein und eingefallen, wie ein wütender, ausgemergelter Zwerg, als sie fastbrüllte: »Die können sich doch selbst nicht helfen, was sollen die denn jetzt tun?« – »Ich glaube, niemand weiß, was hier zu tun ist«, und dann fiel ein Kopf auf meine Schulter, und dort, wo der Schaltknüppel sich in meinen Ellbogen bohrte, war am Abend ein blauer Fleck.
    Manchmal ist es so, dass man nicht heulen kann. Dass es sich sammelt irgendwo in einem, aber nicht herauskommt. Irgendetwas sagte mir, ich hätte kein Recht dazu. Jemand müsse Haltung bewahren. Also saß ich, so gut ich konnte, schief in meinem Sitz mit steifem Hals, als ein Auto neben uns auf den schmalen Standstreifen fuhr. Lene drehte sich sofort weg, ich musste mich kurz sammeln, als ein junger Mann den Kopf aus dem Auto steckte und fragte, ob er uns helfen könne. Dabei hielt er die Hand so an seine Mütze, wie ein Automechaniker in einer Fernsehwerbung, er sah so lächerlich aus, als er wie zum Gruße den Schirm seiner Mütze hochschob, das Grinsen so breit, dass es ihm fast bis an die Ohrläppchen reichte. Und ein Piercing in der kleinen Mulde unter der Unterlippe, das aufgeregt blinkte, wenn die Sonne darauf fiel. »Geht schon, danke«, murmelte ich, legte die Hände auf ’s Lenkrad und starrte geradeaus in der Hoffnung, dass er sich vom Acker machen würde, aber er stellte den Motor ab, stieg aus dem Wagen und streckte sich. Dann kam er zu uns herüber, klopfte mit der Faust auf die Motorhaube und lehnte sich an den Wagen: »Wo fehlt’s denn?«
    Ich seufzte genervt und rollte die Augen, als Lene mit einem Satz aus dem Wagen sprang, wütend um die Motorhaube herumstapfte und sich wütend vor ihm aufbaute: »Hast du nicht verstanden? Es ist alles in Ordnung. Zieh Leine.« DerTyp hob beschwichtigend die Hände, lachte aber weiterhin. »Komm mal runter, Lady. Was ist dir denn angebrannt?« Mir war mulmig, ich stieg aus und erwischte ihn fast mit der aufspringenden Autotür. Er setzte sich in seinen Wagen, streckte uns den Mittelfinger entgegen und fuhr mit quietschenden Reifen davon. Mein Herz klopfte, und auf der Ablage im Auto vibrierte mein Telefon. Als ich es mit langem Arm endlich herausgefischt hatte, verstummte es. Friedrich. Lene und ich saßen auf dem Boden neben dem Auto, sie sah mich fragend an. »Ich rufe später zurück«, sagte ich.

    Friedrich hätte so etwas nie getan. Er wäre nicht gegangen, ohne sich abzusichern. Das mochte ich so an ihm damals, sein Bedürfnis nach Planung und Sicherheit und klaren Strukturen. Er hätte die Route ein paar Mal überdacht, sich eine Karte im Buchladen gekauft, die Haltepunkte festgelegt. In Gedanken sah ich seinen Blick, diesen fragenden, abschätzigen, zweifelnden Blick, dem ich so selten standhalten konnte. Dem ich nicht standgehalten hätte, wäre er mir vor der Abfahrt begegnet. Ich wusste, was er sagen würde, wenn ich nun zurückrief. Er würde uns bitten zurückzukommen, in seinem festen Tonfall, den ich ihm immer glauben musste, weil er ihn durchhielt. Manchmal kam ich mir in seiner Gegenwart vor wie ein Radio, an dessen Knopf er drehte, um den richtigen Sender zu finden, das aber immer schnarrte, und dann seinen mitleidigen Blick erntete, weil

Weitere Kostenlose Bücher