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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
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vorbei, Knäckebrot und Tütensuppe waren auf Dauer nicht zu ertragen. Aber im Drehkreuz am Eingang blieb Lene stehen. Ein älterer Herr wartete hinter ihr darauf, dass sie weiterging, ihr den Weg freimachte, doch sie bewegte sich nicht vom Fleck und starrte entgeistert ins Leere. Der Mann räusperte sich, tippelte nervös mit den Füßen herum und hustete durch seinen Schnurrbart in seine faltige Faust. Durch das breite Schaufenster sah ich zwei Hunde an ihren Leinen in der Sonne hecheln mit heraushängenden Zungen und müden Schwänzen. Einkaufswagen schepperten über die Pflastersteine des Parkplatzes, auf dem ein paar Jungs in weiten Hosen Skateboard fahren übten. Ich musste sie am Handgelenk nehmen und durch das Drehkreuz ziehen, der Mann hinter ihr schimpfte schon und war kurz davor, sie unsanft weiterzuschieben. Lene entwand sich meinem Griff und verschwand zwischen den Regalen, ich hatte Mühe, ihr zu folgen. Als ich sie einholte und mich neben sie stellte, sah ich, was sie sah.
    Er stand an der Kasse, war vielleicht ein wenig kleiner, ein bisschen breiter. Gerade stapelte er Chipstüten und Saftkartons auf dem Laufband. Die Turnschuhe reichten ihm über die Knöchel, von der Seite sah man seinen Dreitagebart und ein paar Sommersprossen. Als er sich zur Kassiererinwandte, ihr die offene Hand mit dem Geld entgegenstreckte, lief es mir kalt den Rücken hinunter. Aus dieser Perspektive hätte man ihn beinahe für Tim halten können. Beinahe.
    Die paar Meter den Gang hinunter zogen sich endlos, Lene blieb immer wieder stehen, machte Pause, wischte sich den Rotz von der Nase, nahm wahllos Lebensmittel und Packungen aus den Regalen und stellte sie woanders wieder hinein. Als wollte sie Zeit schinden. Ein paar Schritte vor, ein paar zurück. Irgendwann erreichten wir die Kasse, ich hatte unterwegs ein bisschen Obst und Joghurt eingesammelt, Brötchen und ein Kartenspiel aus der Ecke mit den Sonderangeboten. »Mir ist schlecht«, sagte Lene und erbrach sich auf den Boden. Die Frau, die in der Schlange vor uns stand, drehte sich entsetzt zu uns um, auch die Kassiererin hatte bemerkt, was geschehen war. Niemand sagte etwas. Die benachbarte Kasse fiepte und setzte dann ebenfalls aus. Schweigend schüttelte die Kassiererin den Kopf und funkelte uns mit ihren dunklen Augen böse an. Ich suchte Lenes Hand, sie hatte die Augen geschlossen und summte eine Melodie vor sich hin, die ich nicht kannte. Ich hätte auch einfach die Augen schließen, mitsummen und abwarten können, aber die Blicke der zwei Damen bohrten sich in mich hinein. Ich stellte den Fuß auf den nassen Fleck am Boden und fragte freundlich, aber bestimmt, wann es denn nun weiterginge, wir hätten nicht ewig Zeit. Schweiß stand mir auf der Stirn, aber ich knickte nicht ein. Ich bezahlte und blickte der Kassendame dabei direkt in die Augen. Dann verließen wir den Laden, Lene immer noch mit geschlossenen Augen, ich hielt sie am Arm und wies ihr denWeg. Beim Rausgehen hörte ich die Damen schimpfen. Vince wartete im Schatten. »Frag nicht«, sagte ich und versuchte, Lene einigermaßen unfallfrei auf dem Bordstein zu platzieren. Wir aßen Bananen und starrten dabei auf eine riesige Tafel, die Werbung für Hackfleisch machte. Halb und halb, fünfhundert Gramm für zwei Euro neunzig. Ich zog einzelne Fäden von der Banane ab und ließ sie auf den Boden fallen. Lene war blass, sie schwitzte auf der Oberlippe. Die Sonne ließ die Pflastersteine grell leuchten, das Geräusch von zuschlagenden Autotüren hallte noch eine Weile nach. Wir schafften es irgendwie bis zum Zeltplatz, unterwegs trottete Lene ein paar Meter hinter uns, manchmal mussten wir stehenbleiben und auf sie warten. Sie ließ sich partout nicht berühren, schieben oder ziehen. Sie ging wie auf Zehenspitzen, ganz langsam und ein wenig taumelnd. Und summte immer wieder. Im Wohnwagen legte ich mich mit ihr ins Bett, die Tür ließen wir offenstehen, Tim spülte Geschirr. Ich schlief sofort ein.
    Jemand flüsterte meinen Namen, als ich aufwachte. Vince saß auf der Bettkante, ich rieb mir die Augen. Draußen dämmerte es. Er strich mir mit der Hand über den Kopf. »Wir haben ein Aufladegerät für dich geliehen, die Nachbarn hatten eins, das passt.« Ich konnte die Informationen nicht richtig einordnen, wie viel Zeit war nach dem Einschlafen vergangen? Vince streckte mir mein Handy entgegen und sagte: »Ich warte mit Lene am Strand.« Ich schaltete das Handy ein, das Batteriezeichen leuchtete grün, und

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