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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
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los, durch die kleinen Vororte von Berlin, auf der alten, mit Platten gepflasterten Autobahn. Auf dem Weg zum See begannen wir damit, die Luftmatratze aufzupusten, undkamen nur langsam voran. Lene lief an der Spitze der kleinen Karawane, wir hatten nur Handtücher dabei, es war noch hell. Man hörte, wie ein paar Jugendliche mit Bierflaschen anstießen, Liebespaare und solche, die es werden wollten, saßen nebeneinander und hielten die Füße ins abendwarme Wasser. Und wir warteten nicht lange, zogen uns aus, stapelten die Klamotten auf der Matratze und schwammen zur Insel, die mit einem kleinen Sandstrand wie ein Ball im Wasser lag. Drüben angekommen saßen und schauten wir, bis die Sonne unterging. Erst dann machten wir uns auf den Rückweg. Als wir am Ufer ankamen, war es stockfinster. Nirgendwo ein Licht. Manchmal schimmerten ein paar Flecken Himmel zwischen den Baumwipfeln hervor. Wir hielten uns an den Händen, Lene ging wieder voraus. Sobald wir auf Laub traten, wussten wir, wir waren falsch. Erst, als wir zuhause ankamen, ich den Sitz nach vorne klappen musste, um von der Rückbank aus dem Auto zu steigen, ließ Vince meine Hand los. Am nächsten Morgen flog er für sechs Wochen nach Lateinamerika. Lene schickte er eine Postkarte, auf der er mir Grüße ausrichten ließ. Als Lene mir die Karte entgegenstreckte, nahm ich sie und klemmte sie an den Flurspiegel. Mit Kugelschreiber schrieb ich einen Zettel und schob ihn unter Vinces Zimmertür hindurch. »Grüße zurück.«

    »Ja«, sagten wir beide gleichzeitig nach ein paar Sekunden Stille, Vince und ich. Und Lene lachte kurz auf, während wir etwas peinlich berührt in der Gegend herumschauten.Nachts im Bett lag Lene zwischen uns. Vince las wieder etwas aus den Meergeschichten vor, die er im Schrank gefunden hatte. An seiner Schulter schlief Lene nach fünf Minuten ein, aber ich konnte irgendwie nicht und hörte weiter zu, wie er die Geschichte zu Ende las und dann noch eine. Und noch eine. Irgendwann legte er das Buch beiseite, knipste das Licht aus, und wir sahen durch den schmalen Spalt zwischen den Gardinen, wie es draußen hell wurde, hörten einander beim Atmen zu, am Morgen noch, warfen manchmal einen Blick auf Lene, die wieder unruhig schlief. Wir blieben standhaft wie Wachen vor der Burg, die nicht wissen, wie lange sie noch ausharren müssen. Und ob jemand kommt, um sie abzulösen.

    Sie sah immer wieder auf die Uhr zwischendurch. »Wir müssen eigentlich nicht heute fahren«, sagte sie, während sie ihr Frühstücksbrötchen in kleine Stücke riss, aus denen sie auf ihrem Teller einen kleinen Berg baute. »Wir fahren aber«, sagte Vince bestimmt, und ich schaute ihn verwundert an, denn sein Tonfall war der eines Vaters, der etwas beschlossen hatte, um etwas zu beschließen, egal, ob es sinnvoll war oder nicht. Ich hätte das so nicht sagen können, aber vielleicht war es gut, dass jemand einen Takt vorgab, dass wir die Rückkehr nicht weiter vor uns herschoben. Wir würden nachts ankommen, hätten noch einen Tag vor der Beerdigung. »Kommen deine Eltern?«, fragte Vince. »Übermorgen, meine ich.« Lene nahm ein Stück Brötchen, formte es zu einem Ball und steckte es sich dann in den Mund,ohne zu kauen. Sie behielt es in der einen Backe, während sie den Kopf schüttelte und meinte, sie wüssten noch gar nicht, wann die Beerdigung stattfinde. »Soll ich das machen?«, fragte ich, »ihnen Bescheid sagen? Ich glaube, es ist gut, wenn sie da sind.« Lene schob den Ball mit der Zunge hin und her und zuckte mit den Schultern. Ich holte mein Telefon aus dem Wohnwagen und sprach mit Lenes Eltern, so sachlich wie möglich. Lenes Mutter weinte, und auch ich musste schlucken. Dass sie sich Sorgen machten, hörte man. Dass sie ratlos waren, ebenso. »Ich glaube, es ist gut, wenn ihr da seid«, wiederholte ich, und in der Ferne sagte Lenes Mama: »Das sind wir die ganze Zeit.« – »Ich weiß«, sagte ich. »Sie weiß das auch. Es ist nur die Stadt. Er ist halt überall.« Und dann schluchzte es wieder am anderen Ende der Leitung, es knackte und raschelte, und dann war Lenes Vater am Apparat. Ich gab ihm noch Ort und Zeit durch, wusste aber, dass sie morgen vor Lenes Tür stehen würden. Beim Abwaschen rutschten mir zwei Teller aus der Hand. Einer zersprang nur in zwei Hälften, sodass es auf den ersten Blick aussah, als könne man ihn einfach in der Mitte wieder zusammenkleben. Ein schmaler Streifen in der Mitte jedoch war in viele kleine Teile

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