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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
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versanken und ihre Mützen auch auf dem Kopf blieben. Hin und wieder landete ein knallrotes Wasserflugzeug lautstark in der hinteren Kurve. Dann blieben manchmal die Jogger stehen, die Schwäne flatterten aufgeregt herum. Die Haubentaucher schien die Panik nicht zu jucken, die verschwanden immer wieder kurz, denn wenn die Schwäne sich aufregten, wurden sie wenigstens in Ruhe gelassen. Im Winter hörte man bei jedem Spaziergang das Knistern der Eissplitter, die es nicht schafften, sich als Fläche anzuordnen auf dem Wasser, die einzeln aneinander stießen, sich überlappten, zu Haufen stapelten, es aber nie zu einer Eisschicht brachten, vielleicht zu einem zarten Überzug an den Ufern. Lene wohnte im Prenzlauer Berg hinter dem Volkspark, bis zur Halbinsel hatten wir im Winter mit dem Fahrrad zwanzig Minuten gebraucht.
    »Ich kann nicht mehr«, flüsterte sie so leise, dass ich mir einen Moment lang nicht sicher war, ob ich sie wirklich gehört hatte.Ich stellte mir vor, wie wir von oben aussehen mussten an diesem lauten Strand auf unserer Picknickdecke, drei junge Menschen, die saßen und lagen, die ihre T-Shirts nicht auszogen und fast die ganze Zeit schwiegen und glotzten. Inmitten von lärmenden Menschen machten wir kein Geräusch.
    Vince stand auf und kam mit einem gelben Sonnenschirm zurück, und im schmalen Oval des Halbschattens hörten wir mit, wie sich unsere Nachbarn über den Inhalt ihrer Kühlbox stritten, über den Sand auf der Luftmatratze, über Quallen und den Knick im Titelblatt der Illustrierten. Als ein kleiner Mann mit Bierbauch in einem dunkelblau-weißgestreiften Matrosenshirt an uns vorbeischniefte, weil er einen quietschenden Wagen vor sich her schob, in dessen Bauch sich allerlei Zeug versteckte, tapste ich ein paar Schritte durch den heißen Sand und kaufte ihm eine Ausgabe der Lokalzeitung sowie zwei Becher Kaffee ab. Aus einem Schlauch floss die dunkle Flüssigkeit in die Pappbehälter. Die bedrückende Stille, die normalerweise nach einem Streit herrschte, als Kind hatte ich sie mir immer als einen Keramikfaden vorgestellt, wie ein feines, weißes, unbewegliches Band, das sich durch alles und jeden hindurchzog und die Bewegung, das tiefe Durchatmen unmöglich machte.
    Ich begann, in der Zeitung zu lesen, gab aber nach zwei Absätzen auf und fächelte mir mit den Seiten kühle Luft ins Gesicht. Als Lene mit ihrer Salzsandkruste auf der Wange aufsprang, in den Sand stampfte, um ihre Beine abzuschütteln, und laut sagte: »Ich halte dieses Herumgesitze nichtlänger aus«, schauten Vince und ich für einen Moment etwas entsetzt zwischen unseren Schultern hervor. Eingesunken lagen unsere Körper kreuz und quer auf der Decke, Druckerschwärze hatte auf unsere Haut abgefärbt. Ich reckte mich sofort, scheuchte Vince von der Decke, schüttelte sie aus und konnte mir dabei ein Lächeln nicht verkneifen. Dass er ebenfalls kurz lachte, sah Lene nicht mehr, denn sie war schon auf dem Weg zum Wasser.
    Das Laufen tat gut, der Wind erfrischte die roten Gesichter und wir gingen auf die lange Seebrücke zu.
    Als wir in einem Café an der Strandpromenade, das im Bauch eines Wals untergebracht war, Instant-Cappuccino tranken, legte Lene eine Hand auf das Bein von Vince. Das hatte sich mit der Zeit so eingespielt, so war ihre Verbindung. Eine Hand auf dem Knie, man muss sich nicht immer ansehen. Als sie Vince damals auf der Party kennengelernt und die beiden beschlossen hatten, zusammenzuziehen, dachte ich erst, das sei wieder eine ihrer Luftideen, die im ersten Moment ganz konkret vor dem Auge schweben und sich schon in der nächsten Sekunde aufgelöst haben, weil die nächste Ablenkung Aufmerksamkeit erfordert. Sie schwärmte natürlich. Dass er aussehe wie ein Rentner manchmal, wenn er gehe und dabei die Arme hinter dem Rücken verschränke. Dass er sie an ihren Großvater erinnere und das nur ein gutes Zeichen sein könne. Dass sie ein gutes Gefühl habe, was die Wohnung angeht und so. Ich glaubte ihr nicht, doch sie meinte: »Ich halte etwas davon, Menschen auf Parties kennenzulernen. Man kann sehen, ob jemand säuft, oder wie er beim Rumknutschen aussieht. Obman zu denselben Liedern tanzt, und mit wem er nach Hause geht. Man findet relativ schnell heraus, wie man sich wohl in der Küche begegnen würde, und das ist doch schon die halbe Miete.« Es dauerte nicht lang, bis sie eine Wohnung gefunden hatten. Das war nun ungefähr drei Jahre her.
    Auf dem Rückweg durch den Ort kamen wir an einem Supermarkt

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