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Und immer wieder Liebe Roman

Titel: Und immer wieder Liebe Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Calvetti
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Gehirns weiß ich, dass sie unendlich weit weg sind und sich nicht darum scheren, was um sie herum geschieht. In diesem Zustand der emotionalen Ferne habe ich einen Vater, einen Bruder und eine Schwester erlebt. Meine Mutter nicht. Bei ihr habe ich das nicht geschafft. Ich hatte genug von Leichen, es war zu schnell passiert. Michele hat sich darum gekümmert. Identifizierung, Beerdigung, Todesanzeigen.
     
    Lucilla ist noch kleiner geworden. Sie trägt keine Trauerkluft, verkriecht sich aber in sich selbst, sitzt auf dem Stuhl neben ihrem Mann und streichelt seine gefalteten Hände mit kurzen gleichmäßigen Bewegungen.

    »Wir können alle jeden Moment sterben«, flüstert sie. »Er hat nicht auf mich gewartet, obwohl er mir das versprochen hatte.«
    Auf dem Sessel im Wohnzimmer mit den Häkelgardinen, den roten Geranien und den Pfirsichen in der Obstschale sieht man noch die Spuren dieses freundlichen Mannes, der für die Physik gelebt hat und dann zu Romanen konvertiert ist. Seine Lesebrille mit der Metallfassung liegt auf einem Tischchen, neben Zeitungen und Zeitungsausschnitten, einer Schneiderschere und einem Notizbüchlein.
    Man müsste im Winter sterben, denke ich, während ich nach Hause zurückgehe.
     
     
    Mailand, den 23. Juli 2004
Gasthaus. zur Lust und zur Liebe
     
    Lieber Federico ,
    heute Morgen hatte ich beim Aufwachen einen Satz im Kopf: Ich habe nicht hinreichend Sorge für mich getragen. Deinetwegen. Ich weiß nicht genau, was das bedeutet und ob ich es womöglich aus einem Roman habe. Vielleicht ist es anlässlich der Beerdigung wieder aufgetaucht: Gestern haben wir Signor Ernesto beerdigt, und danach haben die jungen Leute eine Lesung zu seinem Gedenken veranstaltet. Das Lokal war bis auf den letzten Platz besetzt. Lucilla schien es nicht zu stören, wie viele Damen und Herren ständig betonten, wie wichtig Ernesto für ihren Mittwoch war. Wir unterschätzen oft – oder ich zumindest -, wie unverzichtbar Leute werden können. Ich habe nie über die Bedeutung dieser Lesungen nachgedacht und möchte mir auch keinerlei Verdienst zuschreiben, aber als Manuele an das Lesepult trat, in Baumwollblazer und Hemd und sogar mit einer Krawatte um den Hals, habe ich plötzlich begriffen, dass Lust&Liebe für viele
ein Ort der Emotionen geworden ist. »Es wird alles gut, Lucilla«, habe ich zu ihr gesagt.
    »Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie aus den Stücken lesen, die er so geliebt hat. Wirklich eine nette Idee«, hat sie geantwortet, eingeschüchtert von all den Leuten.
    Wir sollten in ihrer Nähe bleiben, denke ich, Ernesto war schließlich ihr Ein und Alles.
    Ich habe nicht hinreichend Sorge für mich getragen. Deinetwegen. Was für ein blöder Satz. Vielleicht soll das bedeuten, dass wir Zeit verlieren, dass das, was uns verbindet – Briefe -, nicht reicht. Zum ersten Mal denke ich ernsthaft über die Qualität unserer Beziehung nach. Unsere Begegnungen scheinen mir heute nichts anderes zu sein als wenige, kurze, oberflächliche Treffen. Lückenbüßer. Liebessurrogate. Wenn es Liebe wäre, was uns verbindet, könnten wir nicht getrennt voneinander leben. Wenn wir nur Liebhaber wären, würde ich jetzt, inmitten dieser unerträglichen Mailänder und sicher auch New Yorker Hitze, nicht diesen eisigen Schauer verspüren. Du bist nicht hier, und ich bedauere plötzlich, wie wenig ich Dir von mir erzählt habe. Ich habe Dir nie von dem schrecklichen Unfall erzählt, in dem ich sie alle verloren habe. Heute weiß ich, dass ich sie nicht hinreichend beweint habe, um gelassen darüber sprechen zu können. An der Grube habe ich nicht um Ernesto getrauert, der in Frieden und vor allem schnell gestorben ist, sondern um meine eigenen Verwandten. Ich habe um mich geweint, Federico, um uns. Ich hatte Angst. Mir bleibt nicht mehr viel Lebenszeit, und doch benehme ich mich so, als hätte ich sie in Hülle und Fülle.
    Schreib mir, ich brauche Deine Worte und Deine Zuwendung,
    Emma

     
     
    New York, den 30. Juli 2004
42 W 10 th St
     
    Liebe Emma,
    ich bin zu Hause, meine Frauen sind in den Hamptons. Ich fahre nicht hin, die Arbeit ruft, und ich habe die allerbesten Gründe, in der Stadt zu bleiben. Die Allergie plagt mich ohne Unterlass. Meine Nase ähnelt verdächtig der von J. P.M., zwar nicht hinsichtlich ihrer Größe, aber zumindest, was ihre Farbe angeht: Sie pendelt sich allmählich bei Kirschrot ein. Ich schicke Dir Abzüge von ein paar Fotos, die Frank geschossen hat: Findest Du das Stahlgebilde,

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