Und immer wieder Liebe Roman

das wie ein riesiges Spielzeug die zukünftige Morgan Library modelliert, nicht fantastisch? Du hättest hier sein müssen, Emma. Der Kran hat einen großen, fertig montierten Metallrahmen herabgesenkt – wie ein großes Teil aus dem Stabilbaukasten. Dann gibt es noch ein Foto vom Restaurantbereich, den wir im Speisezimmer von Morgan Jr.. einrichten, und eines vom Bookshop, der auf die Sechsunddreißigste hinausgeht. Von der Piazza ist noch nichts zu sehen, aber Du kannst sie bereits erahnen. Sie wird so groß sein wie ein italienischer Park und das Zentrum eines Dorfs von europäischen Dimensionen bilden.
    Heute haben wir eine Sitzung einberufen, in der über die Farbe des Eingangs entschieden wurde; wir haben uns für cremeweiß mit rosafarbenen Pigmenten entschieden, um McKims »Morgan-Farbe«, die des rosa Marmors aus Tennessee, zu erhalten. Dann wurde noch über die Einrichtung der Büros der Mitarbeiter und Kuratoren entschieden (sie liegen im Obergeschoss der Brownstone-Villa).
    Die alte und die neue Morgan Library küssen sich, stören sich aber nicht wechselseitig, das ist ein wenig wie bei uns beiden. Ich rede Unsinn, aber ich will Dich ablenken und Dir sagen, wie nah ich Dir bin. Deine Schilderung hat mich bewegt. Als ich das alles
gelesen habe, war es, als würde ich Deine Kunden kennen. Die Beerdigung meiner Angehörigen habe ich verdrängt, und ich gehe nur selten zum Familiengrab. Ich wüsste nicht, was ich sagen oder auch nur denken sollte. Es gibt jemanden, der sich darum kümmert. Sie haben mich nicht gebraucht, als sie noch lebten, da brauchen sie mich jetzt erst recht nicht.
    Ich dagegen brauche Dich. Immer.
    Federico
     
    P.S. Du solltest nie weinen, Emma, weder meinetwegen noch deinetwegen.
     
     
    2So wie in den letzten Tagen habe ich noch nie geschuftet. Meine Melancholie legt sich, und ich empfehle Romane für das Überleben in der Liebe. Es ist heiß. Die Ventilatorblätter über meinem Kopf schaffen es nicht, für die nötige Abkühlung zu sorgen. Alberto behauptet, das seien die Hitzewallungen der Wechseljahre und verweigert – immer noch! – den Einbau einer Klimaanlage. Nachmittags kommt jetzt immer Lucilla und arbeitet ehrenamtlich bei Lust&Liebe. In den Urlaub fährt sie nicht, um »ihn nicht allein zu lassen«. Sie wählt die Bücher für das neue Schaufenster aus, das sie selbst vorgeschlagen hat: Liebesgeschichten, die post mortem geschrieben wurden. Das Thema scheint sie nicht zu verstören, im Gegenteil. Mir ist noch nie aufgefallen, wie viele Postmortem-Romane es gibt. In Wahrheit nimmt man Romane nur wahr, wenn sie vom eigenen Leben erzählen und zum Spiegel taugen. Merkwürdig: Von Roth mal abgesehen, sind alle diese Autoren wahnsinnig jung, als würden die Alten einen Sicherheitsabstand zum Tod wahren. Da ist die irische Schriftstellerin Cecilia Ahern mit ihrem P.S. Ich liebe dich, die Französin Anna Gavalda
mit Zusammen ist man weniger allein und Marc Levy, der, wenn man dem Foto auf der hinteren Umschlagklappe glauben darf, ein faszinierender Schriftsteller ist, spezialisiert zudem auf die Rückkehr geliebter Personen aus dem Jenseits. Lucilla erläutert mir die Bücher und spricht dabei in aller Ruhe über Ernesto.
    »Ich könnte eine Biographie schreiben«, sagt sie, und die Idee scheint sie ernsthaft zu reizen.
    »Ihre Ehe entspricht der Handlung eines gelungenen Romans, Lucilla«, antworte ich, während sie mir die Bücher für das Schaufenster reicht. Wir werden sie nicht besonders arrangieren, haben wir einhellig beschlossen. Kein Schnickschnack. Im Jenseits ist alles weiß. Vielleicht.
    »Die hier halten aber länger, Alice«, sagt sie und zeigt auf die Bücher, um meine besorgte Assistentin etwas aufzumuntern. Sie ist eine geistreiche Frau, diese Lucilla. Ihr ganzes Leben hat sie ihren Schülern gewidmet und sich mit Sonetten getröstet. Und doch bekomme ich das Bild nicht aus dem Kopf, wie sie nach Hause geht und leise weint, damit es niemand hört.
    Am Nachmittag findet die letzte Lesung vor der Sommerpause statt, und alle meine Kunden kommen, um sich für den Urlaub einzudecken. Borghetti und Gaston fahren nach Thailand und suchen dicke Romane für die Interkontinentalreise. Cecilia begibt sich testweise auf Hochzeitsreise mit ihrem Witwer, der ein wahrhaft schöner Mann ist und das erstaunte Gesicht desjenigen macht, der sein Glück immer noch nicht fassen kann. Sogar Michele ist hier gewesen und hat sich von seiner Lebensgefährtin ausnehmen lassen; drei