Und immer wieder Liebe Roman
die Bestsellerlisten an, obwohl er noch vor wenigen Jahren in den Regalen altmodischer Buchliebhaber vor sich hingammelte. Ich muss innerlich den Kopf schütteln. Sechshundertzwanzig Seiten Briefe, Ende des siebzehnten Jahrhunderts geschrieben. Der Autor war Buchdrucker, bevor er die Literatur für sich entdeckte, und schon deshalb verdient er meine vollste Hochachtung. Absender der fiktiven Briefe ist eine Dienstmagd vom Lande, ein ehrbares und gehorsames Mädchen, das seinen bedürftigen Eltern gesteht, wie sehr es vor den Verführungsversuchen seines Herrn, des genusssüchtigen Mr. B., zittert. Der Rest der Geschichte besteht in der ewigen Wiederholung der einzig denkbaren Lösung: Widerstand. Tatsächlich widersteht Pamela den unsittlichen Avancen und lässt sich erst nach einer Bekehrung des Grafen erweichen. Unter dem Jubel aller und den neidischen Blicken vieler wird er vor den Traualtar geführt. Die Hartnäckigkeit des Dienstmädchens verwandelt die Wollust des Adeligen in Liebe, die Tugend triumphiert, und die Ehe besiegelt das Ganze. Pamela war der erste moderne englische Roman. Er hat eine Lebenseinstellung widergespiegelt, nach der sich das Lesepublikum der damaligen Zeit sehnte, und der Erfolg war sensationell. Sexszenen gibt es natürlich keine,
aber man erfährt als Leser genug, und so bannt auch die moderne Serie Millionen von Zuschauern vor den Fernseher. Der Stoff ist genau im richtigen Maße einfältig und schafft es, die Tugend, jene Tugend, in ein zeitloses Instrument zu verwandeln.
»Du könntest ein Regal ›Die Liebe siegt, wo sie flieht‹ einrichten«, sagt Cecilia und begrüßt Alice, die, wie sie selbst, keine einzige Folge verpasst.
»Wer flieht, Mädels?«
»Ihr müsst es wie diese Pamela machen – euch für den Richtigen aufheben«, sage ich und fuchtele mit dem Buch herum.
»Zu spät«, erklären sie einstimmig.
»Ich werde Brautjungfer, Cecilia. Weißt du schon das Datum?«
»Wir dachten an den 15. September. Es soll eine ganz schlichte Zeremonie werden. Nur Standesamt, nichts Kirchliches. Ist Manuele nicht da?«
»Vergiss es. Wir haben uns schon eine Woche lang nicht mehr gesehen, er ist in einer Prüfungskommission an einem Gymnasium in Brindisi. Als hätten sie in Apulien nicht genug arbeitslose Lehrer.«
»Ihr habt aber doch den ganzen August, um es euch gutgehen zu lassen. Trennungen sind hilfreich, glaub mir. Denk an die Zeit, als ihr euch nur über unser Internetforum geschrieben habt und du nicht einmal wusstest, wie er aussieht. Das scheint eine Ewigkeit her zu sein, oder? Jetzt seid ihr so glücklich miteinander, das sollte dich doch ein wenig versöhnen mit den äußeren Umständen. Intellektuell – und nicht nur intellektuell – seid ihr vollkommen auf einer Wellenlänge. Manuele ist gebildet, intelligent und hat die Geduld eines Heiligen. Was willst du mehr?«
Federico ist eine fixe Idee. Wie könnte ich diesen beiden klarmachen, dass wir mit achtzehn nicht miteinander geschlafen haben und dass die jetzige Geschichte so etwas wie eine posthume
Eroberung ist? Sie würden mir nicht glauben, oder, schlimmer noch, sie würden mich für verrückt halten. Tatsächlich habe ich die Macht des Sex nie wirklich begriffen. Ich mache es, und damit gut. Man macht es, wenn man sich liebt, und sonst redet man nicht darüber. Diese Denkungsart ist ein wenig schlicht, aber ich bleibe ihr treu. Die Jungen, Mattia eingeschlossen, sind wie wir, aber sie wollen es nicht wahrhaben. Das ist der einzige Unterschied.
Mailand, den 7. Juli 2004
Via Londonio 8
Lieber Federico,
heute Morgen bin ich in unsere alte Schule gegangen und habe mich an die jungen Leute drangehängt, die zu ihrer Abiturprüfung gegangen sind. Niemand hat mich aufgehalten, selbst die Hausmeisterin nicht, die übrigens – tut mir leid, dass ich dir das mitteilen muss – keine Schürze mehr trägt.
Wenn man einmal von der Unruhe in den Augen der Schüler absieht, hat sich hier alles verändert. Man verkauft keine runden, fettigen Focaccine mehr, sondern es gibt, wie im Büro, Kaffeeund Getränkeautomaten. Nur die Wandfarbe ist noch genauso abgeblättert wie zu unseren Zeiten, und auch an den Sternkarten gehen die Kriege folgenlos vorbei. An den Wänden ist die Zeit stehengeblieben.
Emma
P.S. Mattia, der zurzeit Manuele vertritt, versorgt uns mit Kaffeespezialitäten, als wären es Cocktails. Er hat einen mit Bitterschokolade und Gewürzen kreiert, und mir wird schon schlecht, wenn ich nur
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