Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)
zu ihm zurückrollen.
»Nein, behalt ihn«, sagte Andrius.
Wir erwachten bei Sonnenaufgang. Einige Stunden später kam ein Wagen. Man entschied sich für die andere Gruppe und nahm sie mit. Danach luden uns die Wachleute hinten auf die zwei Lastwagen und fuhren durch das Tal bis zu dem Einschnitt zwischen den Hügeln, wo eine Straße begann. Alle schwiegen. Wir hatten zu viel Angst, um über unser mögliches Ziel zu reden.
Auf dem Lastwagen wurde mir bewusst, dass jeder Fluchtversuch sinnlos gewesen wäre. Diese Gegend war im Umkreis vieler Kilometer unbewohnt. Wir sahen weder Menschen, noch kam uns ein anderes Fahrzeug entgegen. Ich dachte an den Mann, der mein Taschentuch hatte, und hoffte, dass es weitergereicht wurde und irgendwann zu Papa gelangte. Nach zwei Stunden sahen wir Hütten am Straßenrand. Wir schienen bewohntes Gebiet erreicht zu haben. Der Lastwagen hielt vor einem Holzhaus, die Wachmänner sprangen ab und brüllten »Dawai! Dawai!« und andere Befehle.
»Wir sollen unser Gepäck auf den Lastwagen lassen«, sagte Mutter und drückte ihren über dem Arm liegenden Mantel an sich.
»Ich will vor dem Aussteigen wissen, wohin es geht«, sagte Frau Arvydas.
Mutter versuchte, mit den Wachmännern zu reden. Dann wandte sie sich lächelnd um. »Es ist ein Badehaus.«
Wir sprangen vom Lastwagen. Mutter legte ihren Mantel zusammengefaltet in den Koffer. Man trennte uns nach Geschlechtern.
»Tragt mich«, sagte der Glatzkopf zu Andrius und Jonas. »Ihr müsst mich waschen.«
Jonas erstarrte, Andrius zog ein angeekeltes Gesicht. Ich lächelte, was ihn noch mehr aufzuregen schien. Die Männer waren zuerst an der Reihe. Die Wachleute riefen sie auf die Veranda, brüllten sie an, stießen sie. Jonas sah fragend zu Mutter.
»Du sollst dich ausziehen, mein Schatz«, übersetzte sie.
»Jetzt? Hier?«, fragte Jonas und starrte die Frauen und Mädchen an.
»Wir drehen uns um, nicht wahr, meine Damen?«, sagte Mutter. Wir kehrten der Veranda den Rücken zu.
»Sinnlos, sich jetzt noch zu zieren«, sagte Herr Stalas. »Wir sind sowieso Klappergestelle. Zieh meine Hose aus, Junge. Aua! Vorsicht mit meinem Bein!«
Herr Stalas zeterte, und Jonas bat um Verzeihung. Eine Gürtelschnalle knallte gegen das Holz der Veranda. Ob es die von Andrius war? Die Wachmänner brüllten.
»Ihr sollt eure Kleider hierlassen, damit man sie entlausen kann«, übersetzte Mutter.
Irgendetwas roch komisch. Schwer zu sagen, ob der Geruch aus unserer Gruppe oder aus dem Badehaus kam. Wir hörten, wie der Glatzkopf im Gebäude schrie.
Mutter drehte sich um und verschränkte die Finger. »Mein süßer Jonas«, flüsterte sie.
26
Wir warteten. »Was geht da drinnen vor?«, fragte ich. Mutter zuckte mit den Schultern. Drei NKWD-Leute standen vor der Veranda. Einer bellte schon wieder einen Befehl.
»Immer zehn auf einmal«, sagte Mutter. »Wir sollen auf die Veranda gehen und uns ausziehen.«
Wir gingen als Erste hin, gemeinsam mit Frau Arvydas, der mürrischen Frau und ihren Töchtern. Mutter half Ona auf die Veranda. Ich knöpfte mein Kleid auf und zog es aus, löste mein Haar und schlüpfte aus den Sandalen. Mutter stand in Unterwäsche und BH da und half Ona. Die Wachmänner standen auf der Veranda und starrten uns an. Ich zögerte.
»Ist schon gut, mein Schatz«, sagte Mutter. »Denk daran, wie wunderbar es sein wird, wieder sauber zu sein.« Ona begann zu wimmern.
Ein junger blonder Wachmann entzündete eine Zigarette und sah zum Lastwagen. Ein anderer NKWD-Mann glotzte uns an und biss sich auf die Unterlippe.
Ich zog BH und Schlüpfer aus und bedeckte meine Blößen mit den Händen. Die neben mir stehende Frau Arvydas konnte ihre üppigen Brüste nicht hinter den dünnen Armen verstecken. Ein Mann mit Goldzahn, offenbar der Kommandant, ging über die Veranda, blieb vor jeder Frau stehen und musterte sie von oben bis unten. Frau Arvydas wagte nicht, aufzuschauen. Der Mann ließ einen Zahnstocher im Mund kreisen, zog eine Braue hoch und sah sie lüstern an.
Ich musste angewidert keuchen. Mutter fuhr zu mir herum. Der Mann riss meine Arme weg. Er betrachtete mich grinsend von Kopf bis Fuß. Dann begrabschte er meine Brüste. Seine rissigen Fingernägel kratzten über meine Haut.
Ich hatte noch nie nackt vor einem Mann gestanden. Bei der Berührung seiner rauen Hand wurde mir schlecht, und auf einmal fühlte ich mich innerlich schmutziger als außen. Ich wollte die Arme vor der Brust verschränken. Mutter schrie etwas auf
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