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Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)

Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)

Titel: Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruta Sepetys
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Schnittlauch, und die Sonne gab mir Kraft. Ich stand auf und reckte mich.
    Die Kinder zerstreuten sich, aber das schien die Wachmänner nicht zu bekümmern. NKWD-Leute inspizierten die Waggons und blieben nur stehen, um zu brüllen, wir seien dreckige Schweine, die keine Achtung vor dem Zug hätten. Die Lokomotive zischte abfahrbereit.
    »Man wird noch mehr Leute holen«, sagte Andrius.
    »Meinst du?«, fragte Jonas.
    »Sie werden erst aufhören«, erwiderte Andrius, »wenn sie uns alle losgeworden sind.«

24
    Stunden  verstrichen, die Sonne sank. Zwei Gruppen waren noch übrig. Die mürrische Frau aus unserem Waggon stapfte umher und schrie uns an. Sie warf Mutter vor, so zu tun, als würde unsere Gruppe nur aus Schwächlingen bestehen. Man werde uns jetzt sicher erschießen, schrie sie.
    »Sollen sie doch«, erwiderte der Glatzkopf. »Das wäre besser für uns, glaubt mir.«
    »Aber sie wollen uns versklaven«, warf Frau Arvydas ein.
    »Ein bisschen Arbeit bringt Sie schon nicht um«, sagte die mürrische Frau. »Es geht bestimmt nur um körperliche Arbeit. Und weil die meisten von euch so schwach wirken, haben sie die anderen Gruppen zuerst geholt. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen. Ich habe keine Angst, mir die Hände dreckig zu machen.«
    »Dann erwählen wir Sie hiermit, etwas zu beißen für uns auszubuddeln«, sagte Andrius. »Und jetzt lassen Sie unsere Mütter in Ruhe.«
    Jonas und ich lagen im Gras und versuchten, unsere steifen Muskeln zu dehnen. Andrius legte sich zu uns, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah zum Himmel auf.
    »Deine Stirn wird rot«, sagte ich.
    »Ein Sonnenbrand ist mein geringstes Problem«, erwiderte er. »Ich werde den Wachleuten nicht den Rücken zukehren. Wenn wir ein bisschen Farbe bekommen, werden wir vielleicht in die sowjetische Sklaverei verkauft, wie es die alte Hexe will.«
    Jonas rollte sich auch auf den Rücken. »Hauptsache, wir bleiben zusammen. Das ist das Wichtigste, hat Papa gesagt.«
    »Ich bleibe bei meiner Mutter. Ich habe keine andere Wahl. Ein Wunder, dass sie bis jetzt durchgehalten hat«, sagte Andrius und sah sich nach ihr um. Frau Arvydas vertrieb die Fliegen mit ihrem Seidentaschentuch und verlor dabei das Gleichgewicht. »Sie ist nicht gerade zäh.«
    »Hast du Geschwister?«, fragte Jonas.
    »Nein«, antwortete Andrius. »Meine Mutter war nicht gern schwanger. Und mein Vater hat gesagt, er brauche keine weiteren Kinder, denn er habe ja einen Sohn.«
    »Mein Papa meinte, dass er und Mutter uns eines Tages noch ein Geschwisterchen schenken würden. Ich hätte gern einen Bruder«, erzählte Jonas. »Was machen wohl die Leute, die zu Hause geblieben sind? Ob sie sich fragen, was mit uns passiert ist?«
    »Falls sie das tun, haben sie sicher zu viel Angst, um sich offen nach uns zu erkundigen«, antwortete Andrius.
    »Wieso? Und warum hat man uns verschleppt?«, fragte Jonas.
    »Weil wir auf der Liste standen«, sagte ich.
    »Warum standen wir auf der Liste?«, fragte Jonas weiter.
    »Weil Papa an der Universität arbeitet«, antwortete ich.
    »Frau Raskunas arbeitet auch an der Universität, aber man hat sie nicht mitgenommen«, wandte Jonas ein.
    Das stimmte. Frau Raskunas hatte durch die Vorhänge gelugt, als man uns mitten in der Nacht geholt hatte. Ich hatte sie gesehen. Warum war ihre Familie verschont worden? Warum hatte sie sich hinter den Vorhängen versteckt, anstatt zu verhindern, dass man uns deportierte? Papa hätte das nie getan.
    »Ich kann verstehen, warum der Glatzkopf auf der Liste steht«, sagte ich. »Er ist schrecklich.«
    »Er will anscheinend unbedingt sterben«, sagte Andrius. »Wenn ich so in den Himmel schaue, kommt es mir vor, als würde ich zu Hause in Litauen im Gras liegen.«
    Er klang fast wie Mutter, wenn sie ein wenig Farbe in das ewige Grau bringen wollte.
    »Schau mal«, sagte Jonas, »die Wolke sieht aus wie eine Kanone.«
    »Sorg dafür, dass sie die Sowjets wegpustet«, murmelte ich und ließ die Finger über die Grashalme gleiten. »Sie haben es verdient.«
    Andrius drehte sich zu mir um und sah mich lange an. Mir war unwohl bei seinem Blick.
    »Was denn?«, fragte ich.
    »Du hast immer eine Meinung parat«, antwortete er.
    »Das hat Papa auch oft gesagt. Siehst du, Lina? Du musst besser aufpassen«, sagte Jonas.
Die Tür zu meinem Schlafzimmer schwang auf. »Komm ins Wohnzimmer, Lina. Ich möchte mit dir reden«, sagte Papa.
»Warum?«
»In das Wohnzimmer. Sofort!« Papas Nasenflügel bebten. Er

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