Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)
Sie sich!«, erwiderte Frau Rimas.
»Alter Widerling! Glauben Sie, dass sie freiwillig mit diesen Männern schläft?«, schrie ich. »Nein, das Leben ihres Sohnes hängt davon ab!« Jonas ließ den Kopf hängen.
»Sie sollten Frau Arvydas bedauern«, sagte Mutter, »so wie wir Sie bedauern. Andrius und Frau Arvydas haben uns an so vielen Abenden mit Extraessen versorgt. Wie können Sie nur so undankbar sein?«
»Tja, dann müssen Sie die dumme Kuh bestechen, die zuletzt unterschrieben hat«, sagte der Glatzkopf. »Vielleicht schickt sie Ihre Briefe ab, wenn Sie ihr genug zustecken.«
Wir hatten Briefe geschrieben, die Mutter ihrer »Kontaktperson« schicken wollte, einer entfernten, auf dem Land lebenden Verwandten. Wir hofften, dass Papa das Gleiche getan hatte. Wir durften weder etwas Konkretes schreiben noch unseren Namen unter den Brief setzen, denn wir wussten, dass die Sowjets alles lasen. Also schrieben wir, es gehe uns gut, wir hätten eine schöne Zeit und würden ein nützliches Handwerk lernen. Ich zeichnete ein Bild von Oma, notierte darunter: »Liebe Grüße von Oma Altai«, und krakelte eine Unterschrift. Papa würde das Gesicht, meinen Namen und das Wort Altai bestimmt entschlüsseln. Der NKWD hoffentlich nicht.
42
Mutter holte drei Servierlöffel aus Sterlingsilber hervor, die sie in ihren Mantel eingenäht hatte. Sie hatte sie seit unserer Deportation bei sich getragen.
»Hochzeitsgeschenke meiner Eltern«, sagte sie und hielt sie hoch. Sie bot der mürrischen Frau einen Löffel an, wenn diese im Dorf unsere Briefe abschickte, einige Kleinigkeiten besorgte und sich nach Neuigkeiten umhörte. Die Frau nahm das Angebot an.
Alle waren begierig auf Neuigkeiten. Der Glatzkopf erzählte Mutter von einem Geheimpakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Litauen, Lettland, Estland und Polen waren zwischen Hitler und Stalin aufgeteilt worden. Ich zeichnete ein Bild der beiden, auf dem sie Länder unter sich aufteilten wie Kinder Spielzeuge. Polen für dich, Litauen für mich. War es nur ein Spiel für sie? Der Glatzkopf sagte, Hitler habe den Pakt mit Stalin gebrochen und sei eine Woche nach unserer Deportation in Russland einmarschiert. Meine Frage, woher der Glatzkopf von dem Pakt wusste, konnte Mutter nicht beantworten.
Was war jetzt mit unserem Haus und dem übrigen Eigentum? Wussten Joana und unsere anderen Verwandten, was passiert war? Vielleicht suchten sie uns.
Ich war froh, dass Stalin von Hitler aus Litauen vertrieben worden war. Aber was taten die Deutschen dort?
»Stalin ist am allerschlimmsten«, sagte einer der am Esszimmertisch sitzenden Männer. »Er ist das Böse in Person.«
»Es gibt kein Besser oder Schlimmer«, erwiderte Papa leise. Ich stand hinter der Ecke und spitzte die Ohren.
»Hitler will uns wenigstens nicht entwurzeln«, sagte der Mann.
»Kann sein. Aber was ist mit den Juden?«, fragte Dr. Seltzer, einer der engsten Freunde meines Vaters. »Ihr kennt die Gerüchte. Hitler hat die Juden gezwungen, eine Armbinde mit dem Davidstern zu tragen.«
»Martin hat Recht«, sagte mein Vater. »Außerdem baut Hitler in Polen ein System von Ghettos auf.«
»Ein System? Ist das die passende Bezeichnung, Kostas? In Lodz hat er Hunderttausende von Juden eingesperrt, und in Warschau sind noch mehr isoliert worden«, sagte Dr. Seltzer mit vor Verzweiflung erstickter Stimme.
»Eine schlechte Wortwahl, Martin«, entschuldigte sich Papa. »Ich wollte nur sagen, dass wir es hier mit zwei Teufeln zu tun haben, die beide die Hölle beherrschen möchten.«
»Aber es wird unmöglich sein, neutral oder unabhängig zu bleiben, Kostas«, wandte ein Mann ein.
»Lina!«, flüsterte Mutter und packte mich beim Kragen. »Geh sofort auf dein Zimmer.«
Es war mir gleich. Das ewige Gerede über Politik langweilte mich. Ich lauschte nur wegen eines Spiels: Ich versuchte, ihre Mienen anhand ihrer Worte zu porträtieren, ohne ihre Gesichter gesehen zu haben. Ich hatte genug gehört, um Dr. Seltzer zeichnen zu können.
Jonas arbeitete weiter mit den beiden sibirischen Frauen in der Schusterei. Sie mochten ihn und gaben ihm den Rat, Winterstiefel zu schustern. Sie sahen weg, wenn er Materialreste beiseiteschaffte. Jonas lernte viel schneller Russisch als ich. Er konnte Gesprächen ziemlich gut folgen und benutzte sogar umgangssprachliche Wendungen. Ich bat ihn immer wieder, für mich zu übersetzen. Ich hasste den Klang der russischen Sprache.
43
Ich schuftete neben Mutter auf dem Rübenacker. Da
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